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Antonie Pannekoek Archives

Rätekorrespondenz

Quelle: a.a.a.p.


Rätekorrespondenz

Internationale Rätekorrespondenz 1934-1937 / Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland). – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek, Dezember 2020, 504 S., € 13,16, ISBN 979-8551636052


Die Entwicklung der russischen Außenpolitik von 1917-1935 / [Marxistisk Arbejder Politik, Dänemark]


Quelle:  Die Entwicklung der russischen Außenpolitik von 1917-1935 / [Marxistisk Arbejder Politik, Dänemark]. – In: Internationale Rätekorrespondenz : Theoretisches und Diskussionsorgan für die Rätebewegung.  – Ausg[abe]. der Gruppe Int[ernationaler]. Kommunisten, Holland. – 1935, Nr. 13 (Oktober); Quelle der Transkription: Rätekommunismus , 23. November 2020, Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


Die letzte Wendung der Politik einer Reihe von Kominternparteien ist als der 4. August der Dritten Internationale bezeichnet worden. So naheliegend aber auch ein solcher Vergleich erscheint, so kann er doch die Tatsachen nicht umschreiben. Wenn man von der Komintern-Phraseologie absieht und sich an den Kern der Sache hält, können irgendwelche aufregenden Feststellungen nicht getroffen werden. Denn die heutige Phase der Komintern-Politik ist nur ein weiterer folgerichtiger Schritt einer Entwicklung, die mit der inneren und äußeren Politik der russischen Revolution unter Lenin eingeleitet wurde.

Es sind altbekannte Tatsachen, dass die Komintern in völliger Abhängigkeit von der russischen Außenpolitik bewegt wird und dass diese hinwiederum abhängt einmal von der innerrussischen Entwicklung, zum zweiten aber auch von der Stellung Russlands zu den maßgebenden Mächten des kapitalistischen und imperialistischen Weltsystems. Eine Skizze der Entwicklung der russischen Außenpolitik wird das mit hinreichender Deutlichkeit beleuchten.

Die Periode der Revolution

Die Bolschewiki gingen in den Weltkrieg hinein mit einem Programm für die russische Revolution, das in allen seinen Grundzügen bereits ausgearbeitet war und infolge der Notwendigkeiten des Kampfes gegen den imperialistischen Krieg internationalisiert wurde. Dieses Programm basierte nicht auf einem proletarischen Internationalismus, wie er von der deutschen Linken um Luxemburg vertreten wurde. Es basierte vielmehr in den sozialen und außenpolitischen Bedingungen der russischen Revolution selbst, die im Schnittpunkt zwischen der aktiv-imperialistischen Politik der europäischen Großmächte und der kolonialen Unterwerfung der asiatischen Bauernländer heranreifte. Von diesem Schnittpunkt aus entwarf Lenin das folgende Bild seiner Anti-Kriegs- und Revolutionspolitik. Der Weltkrieg ist ein imperialistischer Krieg, der durch die antiimperialistische Revolution beendet werden muss. Das ist eine internationale Aufgabe, der die Sozialisten jedes Landes in ihrem eigenen Land nachgehen müssen. Wir Russen müssen zunächst als kleineres Übel die Niederlage des Zarismus herbeiführen und diesen durch eine Arbeiter- und Bauernrevolution stürzen, das heißt, die radikale bürgerliche Revolution durchführen. Diese Revolution kann zum Prolog der Weltrevolution werden, wenn ihr andere Länder nachfolgen. Das kann geschehen, indem sich erstens in Europa die Proletariermassen zur sozialistischen Revolution und zweitens die Bauernmassen in Asien usw. zur antiimperialistischen, das heißt national- bürgerlichen Revolution erheben. In dem hochkapitalistischen Sektor des damaligen Weltsystems war eine Klasse – das Proletariat – der Vorkämpfer der Weltrevolution; im kolonialen aber waren es „unterdrückte Nationen“. Das Zusammenwirken beider sollte den Weltimperialismus vernichten, um ihn durch ein Weltsystem zu ersetzen, das in seiner proletarisch-bäuerlichen Kombination ähnliche Verhältnisse im internationalen Raum schaffen sollte, wie sie die spätere russische Revolution im russisch-nationalen Rahmen brachte.

In Konsequenz dieser Haltung entwickelten die Bolschewiki im Jahre 1917 ihre Außenpolitik als Mittel des Kampfes gegen das Kerenskisystem: Kein Separatfriede mit Deutschland, Verbrüderung an allen Fronten, revolutionär-internationale Beendigung des Krieges, Aufhebung aller früheren und neueren Annexionen, Selbstbestimmung aller Völker bis zum Recht der Lostrennung. An die Macht gelangt, legten die Bolschewiki unverzüglich dieses antiimperialistische Friedensprogram in dem Dekret über den Frieden vom 3. November 1917 nieder. Sie schlugen allen kriegführenden Völkern und ihren Regierungen vor, „einen gerechten und demokratischen Frieden“ zu schließen, wandten sich jedoch „im besonderen an die klassenbewussten Arbeiter der drei aufgeklärtesten Nationen der Menschheit und der drei mächtigsten von den in diesem Krieg teilnehmenden Staaten – Englands, Frankreichs und Deutschlands“,

Die Bolschewiki versuchten über die Linie von Verhandlungen mit den imperialistischen Regierungen, über Appelle an das Proletariat der imperialistischen Länder und über ihre Nationalitätenpolitik hinweg an den „Hebelpunkt der Weltrevolution“ heranzukommen. Allein das sollte sich sofort als unmöglich erweisen.

Die erste Niederlage der bolschewistischen Außenpolitik

Die Russen erlangten den Frieden nicht durch einen allgemeinen Streik der kämpfenden Armeen. Sie konnten auch nicht weiterkämpfen, da ihre rote Armee vollständig erledigt war und eine neue nicht aus dem Boden gestampft werden konnte. Ihre hilfesuchenden Appelle an das europäische Proletariat, sich gegen die imperialistischen Regierungen zu erheben, verhallten. Was von ihrer Friedenspolitik wirksam blieb, war einmal die verhängnisvolle Lostrennung der Randstaaten von Russland, die von den Bolschewiki gebilligt wurde und zunächst zur Niederschlagung der dortigen Arbeitererhebungen führte. Dann aber dem Aufmarsch der Invasion der Ententemächte Raum gab. Die Bolschewiki waren gezwungen, mit der deutschen Regierung zu verhandeln. Trotzki versuchte in Brest-Litowsk, die bisherige Linie zu retten und sich dem deutschen Diktat durch die Formel „Weder Krieg noch Frieden“ zu entziehen. Allein die deutschen Armeen setzten sich wieder in Bewegung, und kurz darauf unterzeichneten die Russen bedeutend schlechtere Bedingungen.

Vorher hatte der Rat der Volksbeauftragten die Regierungen der Ententeländer zur Teilnahme an den Friedensverhandlungen eingeladen. Sie drohten ihnen in ihrer Note vom 30. Dezember 1917: „Wenn aber die verbündeten Regierungen in blinder Hartnäckigkeit, welche die verfallenden und untergehenden Klassen kennzeichnet, von neuem die Teilnahme an den Verhandlungen ablehnen, dann wird die Arbeiterklasse vor die eiserne Notwendigkeit gestellt sein: die Herrschaft aus den Händen derer zu reißen, die den Völkern den Frieden nicht geben können oder wollen.“ – Die Entente betrachtete eine derartige Sprache als indirekte Kriegserklärung, brach die letzten noch bestehenden Beziehungen zu Sowjetrussland ab und begann unverzüglich mit der Vorbereitung ihrer bewaffneten Intervention, die das feste Rückgrat des mehrjährigen Bürgerkrieges bildete. Noch rechneten die Bolschewiki damit, dass ihre Linie der Weltrevolution realisierbar sei. Sie versuchten, sich durch Kompromisse und durch eine allgemeine Taktik des Rückzuges bei verstärkter Propaganda Einwirkung auf das europäische Proletariat den Zeitgewinn zu sichern, der ihnen den internationalen Vorstoß noch gestatten würde. Allein der Verlauf der Ereignisse nach dem Zusammenbruch der Mittelmächte zeigte nicht nur die allgemeine Unreife des europäischen Proletariats, sondern auch die Unmöglichkeit, die bolschewistische Weltrevolution zu realisieren.

Die Periode des Bürgerkrieges

Am 28. November 1917 erklärte der Rat der Volksbeauftragten: „Die Führer der siegreichen Revolution brauchen keine Anerkennung von Seiten der Vertreter der kapitalistischen Diplomatie.“ Dafür annullierten die Russen die zaristischen Verträge über die Teilung Persiens und der Türkei und forderten alle werktätigen Muselmane auf, die imperialistischen Ausbeuter aus ihren Ländern zu verjagen. Sie wollten den Imperialismus von zwei Seiten her in die Zange nehmen. Umso heftiger aber war dieser bestrebt, seine Invasion zum Sturz des Bolschewismus zu beschleunigen. Denn die Kette der weißgardistischen Aufstände war nichts als die verschleierte Intervention der Ententemächte, die die Weißgardisten mit Waffen, Geld und Spezialtruppen versahen, da sie infolge der gespannten sozialen Situation in ihren eigenen Ländern den direkten Krieg gegen die Sowjetunion nicht riskieren konnten. Immerhin besetzten sie die Randgebiete, bemächtigten sich der Murmanbahn, führten durch die tschechoslowakischer Armee einen direkten Krieg gegen die Sowjets, schnitten Zentralrussland von der südrussischen Getreidezufuhr ab, raubten einen guten Teil des russischen Staatsschatzes, lösten Sowjets auf und ließen russische Arbeiter erschießen.

Die Bolschewiki, die der Konterrevolution mit terroristischer Gewalt entgegen traten, stellten auch ihre Wirtschaft in den Dienst dieser übermenschlichen Anstrengungen. Die Periode des Kriegskommunismus war ökonomisch dieselbe Aktion wie der Bürgerkrieg. Außenpolitisch rechnete Sowjetrussland noch mit einem absehbaren gewaltsamen Durchbruch, mit der westeuropäischen Revolution. Die Bolschewiki annullierten die zaristischen und kerenskischen Kriegsschulden, mussten aber im Oktober 1918 in einer Note an Wilson erklären, dass sie „gegenwärtig der Beteiligung an Unterhandlungen mit solchen Regierungen zustimmen, die noch nicht den Willen des Volkes ausdrücken“. Wilson selbst baten sie um Auskunft darüber, ob die u.s.a. und ihre Verbündeten die Intervention einstellen würden, „falls das russische Volk sich einverstanden erklärt, ihnen dafür Zahlung zu leisten und sich von ihm loszukaufen, wie ein einem plötzlichen Überfall ausgesetzter Mensch sich von dem loskauft, der ihn überfiel.“ Und im Januar 1919 schrieben die Bolschewiki der Regierung der u.s.a. neuerdings:

„Wir teilen ihren Wunsch nach Wiederherstellung normaler Beziehungen zwischen Amerika und Russland und sind bereit, alles zu beheben, was in der Lage ist, diese normalen Beziehungen zu verhindern.“

Als die Alliierten dann Anfang Februar 1919 die Einberufung einer Konferenz nach den Prinzeninseln vorschlugen, um der Invasion durch Verhandlungen mit Russland ein Ende zu setzen, erklärte die Sowjetregierung zum Kriegsschuldenproblem „vor allem ihre Bereitschaft, in dieser Frage den Forderungen der Ententemächte entgegen zu kommen“, und schlug zur Sicherung des Zinsendienstes die Lieferung bestimmter Rohmaterialien vor. Sie bot zum ersten Male wirtschaftliche Konzessionen an und erklärte endlich, sie habe nicht die Absicht, „die Behandlung der Frage irgendwelcher Annexionen russischen Gebietes durch die Ententemächte aus diesen Verhandlungen unbedingt auszuschalten“.

Alle diese Angebote konnten den Fortgang des Bürgerkrieges nicht verhindern, denn die Entente wollte den Sturz der Bolschewiki. Diese befanden sich also in einer außerordentlich bedrohlichen und dazu sehr zweideutigen Situation, als sie den Gründungskongress der III. Internationale auf den März 1919 nach Moskau einberiefen. Die vertretenen ausländischen Parteien waren klein und hatten z.T. schon entscheidende Niederlagen hinter sich. Von einer unmittelbaren revolutionären Aktionsfähigkeit der neuen Organisation konnte keine Rede sein. Dennoch war die Situation an sich hoffnungsvoll, und der erste Kongress führte die entschiedene revolutionäre Sprache Lenins: Verquickung der kolonialen und der proletarischen Revolution. Umwandlung des Krieges in den Bürgerkrieg, Arbeiterräte, Diktatur: „Die alte kapitalistische Ordnung existiert nicht mehr, sie kann nicht mehr bestehen.“ (Richtlinien) Ein bolschewistisches Sozialisierungsprogramm wurde entworfen, die Stellung des „sozialistischen Russland“ zwischen den triumphierenden imperialistischen Großmächten und deren Vasallenstaaten und den Ländern des besiegten Imperialismus gekennzeichnet. Dem entstehenden „Völkerbund“ wurde „die Rolle einer heiligen Allianz der Kapitalisten zur Unterdrückung der Arbeiterrevolution“ zugeschrieben, die Epoche der Weltrevolution verkündet.

Die Gründungstage der Komintern waren indes Tage ihrer europäischen Niederlage. Das Berliner März-Abenteuer, die Münchner Räterepublik, die ungarische Revolution waren entscheidende Schläge der vordringenden mitteleuropäischen Konterrevolution gegen die exponierte und von den proletarischen Massen isolierte revolutionäre Linke. Die Russen sahen sich weiter bedrängt, weiter isoliert. Sie glaubten, dass sie das Ausreifen des revolutionären Prozesses in Westeuropa nicht abwarten könnten und erstrebten eine von oben, d.h. von Moskau her dirigierte Tempobeschleunigung nach den auf russischem Boden so bewährten Rezepten der bolschewistischen Praxis.

„Heran an die Massen“ wurde die Leitparole, die sie unversehens in einen radikal verbrämten Opportunismus hineinstieß. Als sie der k.p.d. vermittels der übelsten, von Radek und Levi praktizierten Apparatschikimethoden die parlamentarische Betätigung und die Teilnahme an der Arbeit der konterrevolutionären Gewerkschaften aufzwangen und die „ultralinke“ Mehrheit hinauf warfen (Herbst 1919, – Heidelberger Parteitag), glauben sie noch an die Beschleunigung des revolutionären Vorstoßes. Allein die unmittelbare Erfahrung lehrte, dass die in Russland unfehlbaren Methoden Lenins auf dem hoch kapitalistischen Boden Westeuropas versagten. Russland musste sich als nationaler Staat inmitten seiner kapitalistischen Umwelt behaupten. Seine Kominternpolitik wurde, ohne Änderung ihrer bolschewistischen Linie, zur Politik des Aufschubs der westeuropäischen Revolution. Die Rechnung auf die internationale Revolution wurde nicht preisgegeben, aber sie wurde zur Frage einer vorherigen hundertprozentigen Sicherheit verwandelt. Das war, wenn nicht theoretisch, so doch praktisch das unbedingte Ende jeder revolutionären Politik.

Die Wendung zur nationalen Selbstbehauptung

Innenpolitisch war die Sowjetregierung bis Ende 1919 imstande gewesen, die Konterrevolution militärisch zu besiegen, d.h. die versteckte ententistische Invasion zurückzuschlagen. Der Sieg im Bürgerkrieg aber lief parallel mit der Niederlage des Systems des Kriegskommunismus. Erstens versiegte die wirtschaftliche Versorgung des Landes bis zu 80 Prozent. Zweitens begann das Proletariat gegen das terroristische Herrschaftssystem des Bolschewismus zu rebellieren und die Rätedemokratie zu fordern. Drittens meldeten die Bauern mit Ungestüm ihre privatwirtschaftlichen Forderungen an, denen sie durch weitgehende Sabotage entscheidenden Nachdruck verliehen. (Die Kronstadtrebellion war die typischste Verbindung der politischen Arbeiter- und der ökonomischen Bauernforderungen. Trotzki machte sich unter Assistenz von Stalin zum Schlächter des Kronstädter Proletariats, einen Noske an Erbarmungslosigkeit und Blutgier übertreffend und der Erfüllung der bäuerlichen Anforderungen den Weg bereitend.) Die n.e.p.-Wendung öffnete dem kleinen Privatkapital, vor allem bäuerlichen und händlerischen Charakters, weite Tore. Eine vom Staat kontrollierte kleinkapitalistische Privatwirtschaft sollte den ökonomischen Aufstieg des Landes sichern.

Außenpolitisch stellten sich die Russen auf Rückzug ein, nachdem sie sich im Krieg gegen Polen eine empfindliche militärische Niederlage geholt hatten. Tschitscherin erklärt nunmehr in einem Aufruf an die „Werktätigen“ der Ententeländer vom 23. Januar 1920, dass Russland nicht die Absicht habe, seine Macht auf irgendein fremdes Land auszudehnen oder ihm das Sowjetsystem gegen den Willen des Volkes aufzuzwingen. Der Appell an die proletarische Revolution nahm einen bescheidenen und platonischen Charakter an. Nicht die Weltrevolution sondern die Notwendigkeit, sich in den Kreis der Weltstaaten einzuschalten, bestimmte die russische Außenpolitik.

Wie Lenin vor und während der russischen Revolution eine breitangelegte Strategie der Ausnutzung der verschiedensten Klassenkräfte in Russland entwickelte, so entwickelte er jetzt eine Strategie der Ausnutzung der verschiedensten Nationen zum Zwecke seiner außenpolitischen Sicherung.

Denn mit dem Verzicht auf eine unmittelbare revolutionäre Weltpolitik war die Notwendigkeit der diplomatischen Sicherung des Sowjetstaates direkt verkoppelt. Russland begann mit den ersten westlichen Sicherungen. Im Verlauf des Jahres 1920 erreichte es seine endgültige Anerkennung durch Estland, Litauen, Lettland und Finnland. Diese Randstaaten spürten den Druck des Sowjetstaates unmittelbar; sie empfanden auch am stärksten das Bedürfnis, sich ein Gegengewicht zu schaffen, um sich der Beherrschung durch die westlichen Großstaaten wenigstens in gewissen Grenzen zu entziehen.

Diese Politik der Kleinen, die zwei Jahre früher der kommunistische Revolution mit Hilfe der Entente den Garaus gemacht hatten, veranlasste Lenin im Jahre 1920, das direkte Bündnis mit der „Bourgeoisie der kleinen Staaten“ zu proklamieren. Er stellte fest, dass es die Bolschewiki verstanden hatten, nicht nur die Arbeiter aller Länder, sondern auch die Bourgeoisie der kleinen Staaten für sich zu gewinnen; weil die Imperialisten nicht nur die Arbeiter aller Länder, sondern auch die Bourgeoisie der kleinen Staaten unterdrücke. Deshalb hätten die Bolschewiki „die schwankende Bourgeoisie fortgeschrittener Länder für sich gewonnen.“ (sehe Samtliche Werke, Band XXV. S. 120.)

In dieser Periode der beginnenden Bündnisse zwischen der Sowjetunion und der Bourgeoisie gewisser kapitalistischer Länder tagte der zweite Kongress der Komintern. Er legte den Grund zu jenem revolutionären Kraftmeiertums, das die Kominternleitung zu nichts verpflichtete. Das Manifest des Kongresses verkündete den Untergang Europas und der Welt und den Aufstand des Proletariats: „Der Bürgerkrieg steht in der ganzen Welt auf der Tagesordnung.“ – Im übrigen lenkte der Kongress seine Aufmerksamkeit stärker auf den kolonialen Osten und proklamierte „eine Politik der Verwirklichung des engsten Bündnisses aller nationalen und kolonialen Freiheitsbewegungen mit Sowjetrussland.“ Insbesondere empfahl er die Organisierung der Bauernbewegung in den Kolonien mit dem Ziel der Schaffung von Bauernsowjets.

Hinter dieser Ausrichtung auf die ostasiatische Revolution stand noch ein stärkerer Wille zum bäuerlich-revolutionären Angriff auf den Imperialismus. Die Beschlüsse über die Komintern in Westeuropa hingegen trug einen vorwiegend anderen Charakter. Es kam den Russen darauf an, sich dort eine breite parlamentarisch-gewerkschaftliche Massenbewegung zu schaffen. „Tiefer in die Massen“, forderten ihre Leitsätze, die Anweisungen für die Verdrängung der alten Führerschaft und die Schaffung von bolschewistischen Zellen in den verschiedensten reformistischen Arbeiterorganisationen gaben. Die 21 Bedingungen über den Anschluss neuer Parteien an die Komintern brachten im Grunde keinen prinzipiellen Kampf um die Taktik. Parlamentarismus, gewerkschaftliche Betätigung und die Zielforderungen der „proletarischen Diktatur“ verbanden Zentristen und Bolschewiki. Die 21 Bedingungen dienten aber der russischen Führung, in den anzuschließenden Massenparteien des Zentrismus. [?] Die alte Führergarnitur war zu erledigen, die zentristisch-demokratischen Traditionen in der Organisation zu zerstören. Die Unklarheit der Arbeiterschaft dieser Parteien war eher ein Plus für die Moskauer Führung, die diese Organisationen im jeweiligen Interesse ihrer komplizierten Außenpolitik zu dirigieren gedachte und sie gleichzeitig als Reserven einer späteren Revolution aufziehen wollte; zwei Aufgaben, die notwendig miteinander in Widerspruch gerieten, die die Doppelzüngigkeit der Kominternpolitik begründeten und die Interessen des westeuropäischen Proletariats missachteten. Als Kernsatz der ganzen Beschlüsse des zweiten Kongresses aber ist die Feststellung des Manifestes über die Kommunistische Internationale zu betrachten: „Die Sache Sowjetrusslands wurde von der Kommunistischen Internationale zu ihrer eigenen gemacht“.

Der Eintritt in die internationale Diplomatie

Die Ansätze des Jahres 1920 reiften bereits 1921 aus. Die n.e.p. konsolidierte sich und brachte die ersten Erleichterungen für das zerrüttete Land. Den ersten westlichen Sicherungen folgten die ersten asiatischen. Russland begann das diplomatische Gegenspiel gegen die Asienpolitik Großbritanniens, seines auf lange Zeit unversöhnlichsten und gefährlichsten Gegners. Im Februar und März 1921 folgten rasch aufeinander die drei Neutralitäts- und Nichtangriffsabkommen mit Persien, Afghanistan und der Türkei. Russland verzichtete auf die zaristischen Forderungen und Verträge, erlangte z.T. die wechselseitige Zusicherung gegenseitiger, militärischer Hilfeleistung. Persien erklärte seine Bereitschalt, russische Truppen auf seinem Gebiete im Falle einer fremden (britischen) Invasion aufmarschieren zu lassen. Afghanistan ließ sich russisches Geld und „sonstige Materialien“ versprechen, und die Türkei nahm die Zusicherung des Rechtes der Völker des Nahen Ostens auf Freiheit und Unabhängigkeit und Selbstbestimmung ihrer Regierungsform entgegen. Zu gleicher Zeit erreichte Russland auch die endgültige diplomatische Anerkennung durch Polen, das bereits damals aus der französischen Vasallenschaft herausstrebte. Schließlich begab sich die Mongolei im November 1921 faktisch unter russischen Schutz. Einschließlich der gewaltsamen Annexion und „Bolschewisierung“ Georgiens verzeichnete die russische Politik an der gesamten asiatischen Grenzfront eine Kette von politischen Erfolgen, die seine Position im Westen erheblich verbesserten.

Denn das n.e.p.-Programm schloss die Aufnahme von Handelsbeziehungen mit den hochkapitalistischen Staaten und die Heranziehung des westlichen Kapitals zu Konzessionsunternehmen in sich ein. Das von der Nachkriegskrise reichlich geschwächte kapitalistische Europa fand sich mit der Existenz Sowjetrusslands ab und begann Verständnis zu gewinnen für die dauernde russische Versicherung der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit und gegenseitiger wirtschaftlicher Vorteile.

Bereits im Verlaufe des Jahres 1921 schloss Russland Handelsabkommen mit Großbritannien, Deutschland, Norwegen, Österreich und Italien ab, denen sich im Juni 1922 noch die Tschechoslowakei anschloss. Alle diese Abkommen brachten die de fakto-Anerkennung der Sowjetunion; der Vertrag mit Deutschland sogar die Zuerkennung der Exterritorialitätsrechte für die russischen Handelsvertreter.

Russland seinerseits verpflichtete sich allenthalben zur Einhaltung der sogenannten „Propagandaklausel“. Bereits im Jahre 1919 hatte die Sowjetregierung ihre Bereitschaft erklärt, „in das allgemeine Abkommen mit den Ententemächten die Verpflichtung einzuschließen, sich in deren innere Angelegenheiten nicht einzumischen.“ Demzufolge verpflichteten sich z.B. die Sowjetvertreter in Deutschland nach dem Vertrag vom 5. Mai 1921 „sich jeder Agitation oder Propaganda gegen die Regierung oder die staatlichen Einrichtungen des Aufenthaltsstaates zu enthalten.“ In den Vertrag mit der Tschechoslowakei wurde bedeutend weitergehend die Verpflichtung der vertragschließenden Regierungen selbst aufgenommen, „sich jeder gegen die Regierung, die staatlichen oder anderen öffentlichen Einrichtungen oder gegen das sozialpolitische System des andern Vertragsteiles gerichteten Propaganda zu enthalten und sich an politischen und sozialen Streitigkeiten, die in diesem Staate entstehen könnten, nicht zu beteiligen.“

Großbritannien endlich erhielt im Jahre 1923 die Erklärung der russischen Regierung, „weder mit Geldmitteln noch sonstiger Form Personen oder Körperschaften oder Agenturen oder Institutionen zu unterstützen, deren Ziel es ist, in irgendeinem Teil des britischen Empire, hierin eingeschlossen alle britischen Protektorate, alle von Großbritannien protektorierten Staaten und alle Territorien, welche einem britischen Mandate unterstehen, Unzufriedenheit zu verbreiten oder Aufstände anzustiften und allen ihren Offizieren und Beamten die vollständige und dauernde Beobachtung dieser Bedingungen einzuprägen.“ (Memorandum der Sowjetregierung vom 4. 6. 1923.) – Es ist bekannt, dass der Abbruch der britisch-russischen Beziehungen im Jahre 1924 auf Grund des gefälschten Sinowjewbriefes gerade unter Berufung auf diese Klausel erfolgte, nachdem ein Vertragsentwurf, der nicht mehr rechtsgültig wurde, auch „Personen und Organisationen unter ihrer direkten und indirekten Kontrolle, einschließlich Organisationen, die irgendwelche finanzielle Unterstützung von ihnen empfangen“ in die Propagandaklausel einbeziehen wollte. Damit hatten die Engländer auf die Komintern direkt abgezielt. Diese Formulierung ist dann 1929 ausdrücklich bestätigt und in Geltung gesetzt worden. Die Sowjetregierung bestreitet allerdings mit vollem formalem Recht, Einfluss auf die Komintern zu besitzen, was ihr die Fachleute des internationalen Rechts mehrfach bestätigten.

Russland begann 1921, sich mit dem Kapitalismus der europäischen Großmächte auszusöhnen und in den kapitalistischen Welthandel einzudringen.

Unter diesen Zeichen fand der dritte Weltkongress der Komintern statt. Russland verfügte bei seinem Zusammentritt bereits über die ersten Ansätze eines internationalen diplomatischen Apparates, demgegenüber das bisher einzige außenpolitische Instrument der Kominternorganisation allmählich zurückgedrängt wurde. Anerkannte ein Teil der kapitalistischen Welt die Sowjetunion, so begann diese, deren Konsolidierung anzuerkennen. Die Perspektiven des 3. Kongresses wurden abgemildert. „Die Kommunistische Internationale hat ihre taktischen Prinzipien auf eine mehr schleppende Entwicklung hin eingestellt […]“ erklärte Sinowjew. Das relative Wiedererstarken der Bourgeoisie wurde offiziell konstatiert, auf eine aktiv revolutionäre Politik ebenso offiziell verzichtet. Die Komintern rückte bei formaler Verurteilung Levys von der deutschen Märzaktion ab und betonte, dass das Proletariat Westeuropas nunmehr zunächst auf Defensivaktionen und wirtschaftliche Teilkämpfe angewiesen sei. – In der „italienischen Frage“ wurde zwar gegen das zentristische Führertum entschieden, die zentristische Partei jedoch im Ganzen akzeptiert und ergebenen bolschewistischen Kommandeuren anvertraut. In Deutschland wurde die Verschmelzung mit den Massen der u.s.p. vollzogen, die „ultralinke“ k.a.p. hingegen wurde als „sympathisierende Partei“ ausgebootet. Die Taktik, die den westeuropäischen Parteien zur Pflicht gemacht wurde, führte folgerichtig an die Sozialdemokratie heran. Die Taktik der Einheit mit den Spitzen der reformistischen Parteien wurde herausgestellt, die Perspektive auf parlamentarische „Arbeiterregierungen“ markiert. Unter dem Einfluss dieser Taktik erklärte Brandler vor einem deutschen Ausnahmegericht, dass seine Partei die Diktatur des Proletariats mit Hilfe der Weimarer Verfassung verwirklichen wolle.

Russland wird zum Faktor der internationalen Großmachtpolitik

„Ohne Russland gibt es keine Wiederherstellung der Weltwirtschaft“, hatte Radek im November 1920 erklärt. Und mit dieser These, die im Interesse des russischen Aufstieges die Interessen des Weltkapitals vertrat, arbeitete sich die Sowjetunion, nachdem sie sich mit verschiedenen kleinen Staaten verständigt hatte, auch politisch in die Reihe der Großmächte hinein. Dem Abschluss von Handelsverträgen folgte der Kampf um die Teilnahme an den großen internationalen Konferenzen. 1921 protestierte Russland wiederholt gegen die Nichteinladung zur Washingtoner Konferenz, die die Flotten- und Einflussfragen im pazifischen Ozean behandelte. Im Jahre 1922 erreichten die Russen ihr Ziel; sie wurden für den Monat März zur Konferenz von Genua eingeladen, wo die Fragen des ökonomischen und finanziellen Wiederaufbaues Europas auf der Tagesordnung standen. Tschitscherin erklärte dort, die russische Delegation sei „der Ansicht, dass in der heutigen Zeit, die eine Parallelexistenz der alten und der im Werden begriffenen neuen sozialen Ordnung möglich macht, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den diese beiden Wirtschaftssysteme vertretenden Staaten für den allgemeinen wirtschaftlichen Aufbau eine gebieterische Notwendigkeit ist.“ Russland suche praktische Beziehungen zu den anderen Regierungen und den Handels- und Industriekreisen anderer Länder. Für den weltwirtschaftlichen Wiederaufbau müssten allseitige zeitweilige Opfer gebracht werden. „Die wirtschaftliche Wiederherstellung Russlands, des größten Landes in Europa, das über ungeheure Naturschätze verfügt, ist eine unbedingte Voraussetzung für den Wiederaufbau der Weltwirtschaft.“ „Russland“, erklärte Tschitscherin weiter, „sei bereit, freiwillig seine Grenzen für internationale Transitwege zu öffnen, Millionen Hektar fruchtbarster Erde der Kultur zur Verfügung zu stellen, Wald-, Steinkohlen- und Erzkonzessionen zu vergeben, für die Zusammenarbeit zwischen Europas Industrie und Landwirtschaft und derjenigen Sibiriens zu sorgen.“ Das russische Memorandum versprach den ausländischen Unternehmern „mehr als hinreichende Garantien“ juristischer Art. Russland erklärte sich sogar bereit zu einer gegenseitigen Schadenersatzleistung für die Kriegsverluste ausländischer Staatsangehöriger. Der Kernpunkt, um den es den Russen ging, war die Erreichung kapitalistischer Unterstützung für ihren inneren Wirtschaftsaufbau: „Die finanzielle Unterstützung von Seiten der anderen Länder ist für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Russlands unentbehrlich“, teilte Tschitscherin am 20. April 1922 Lloyd George, dem Führer der britischen Delegation mit. Indessen stellten die acht Delegationen der kapitalistischen Mächte an Russland eine Reihe von politischen Forderungen, verlangten die volle Rückzahlung der alten Kriegsschulden usw. Es kam zu keiner Verständigung. Dennoch beteuerte die russische Schlusserklärung: „Russland ist auch künftighin bereit, zwecks Erlangung eines Übereinkommens den ausländischen Mächten ernste Zugeständnisse zu machen. Dies aber unter der Bedingung, dass diesen Zugeständnissen gleichwertige Zugeständnisse der Gegenpartei an das russische Volk entsprechen.“

Wirtschaftlich brachte Genua nicht, was Russland erhofft hatte. Dafür aber führte es anschließend zu einem großen politischen Erfolg, zum Abschluss des Rapallovertrages mit Deutschland. Frankreich hatte versucht, die Russen zur Anerkennung des Versailler Vertrages zu bewegen und Reparationsforderungen an Deutschland zu stellen. Russland verständigte sich aber mit Deutschland durch ein Abkommen, das den gegenseitigen Verzicht auf alle Kriegsschadensforderungen festlegte. Deutschland erkannte Russland de jure an. Die Sowjetunion trat damit in ein stilles Anti-Versailler-Bündnis ein. Preobraschenski schrieb in einer Broschüre über Rapallo: „Das Abkommen öffnet dem deutschen Kapital die Tür nach Russland.“ Dies Kapitel aber wurde für die Zwecke eines indirekten Militärbündnisses angelegt. Deutschland errichtete in Russland mehrere Giftgasfabriken und Flugzeugwerke. Angeblich legte eine Geheimklausel zum Rapallovertrag die Zusammenarbeit des Reichswehrministeriums und des revolutionären Kriegsrates für einen deutsch-polnischen Kriegsfall fest.

Tatsache ist, dass zwischen der russischen und der deutschen Heeresleitung längere Zeit die engste Verbindung bestand, die in dem stillschweigenden Plan gipfelte, den von deutscher Seite angestrebten „Befreiungskrieg“ gegen Frankreich im Bündnis mit der Roten Armes zu führen.

Wieweit sich Russland durch das Rapalloabkommen gedeckt sah, ergibt sich aus der Tatsache, dass es anschließend an die Konferenz von Genua versuchte, eine Abrüstungskonferenz gemeinsam mit den Randstaaten zustande zu bringen. Der Vorschlag der Verringerung des russischen Heeres auf 200 000 Mann blieb eine platonische Erklärung, denn die Randstaaten gingen auf irgendwelche Abrüstungspläne nicht ein. Daraufhin lehnte Russland auch die Übereinkunft über ein Nichtangriffsabkommen ab. Damit verschaffte es sich indirekt ein kluges Alibi für den deutsch-polnischen Kriegsfall - ein Umstand, der für das Bestehen der Geheimklausel des Rapallovertrages spricht.

Das Jahr 1922 sah Russland als Partner der Großmacht Deutschland, die um die Wiederherstellung ihrer imperialistischen Stellung in Europa kämpfte. Die Sowjetunion begann, die imperialistischen Gegensätze zwischen den Großmächten selbst auszunutzen, um sich zwischen ihnen unangefochten zu behaupten und nach Möglichkeit wechselseitig Konzessionen zu erreichen. Der 4. Weltkongress der Komintern, der im Winter 1922 tagte, hatte die Kominternparteien auf diese Linie festzulegen. Stärker noch als auf den vorhergehenden Kongressen wurde die s.u. in den Mittelpunkt aller Politik gerückt. „Je mehr Sowjetrussland wiederaufersteht und erstarkt, umso mächtiger wird dieser hervorragendste revolutionäre Faktor der internationalen Politik an Einfluss wachsen,“ sagten die Thesen zur Taktik. Die Fragen der deutschen Politik erzielten die größte Aufmerksamkeit des Kongresses. Die Resolution zum Versailler Friedensvertrag erzählte von demselben Deutschland, das eben unter der rücksichtslosen Führung der großen monopolkapitalistischen Gruppen, gestützt durch ausländische Anleihen, einen skrupellosesten Enteignungs- und Konzentrationsfeldzug gegen Mittelstand und Proletariat durchführte: „[…] entwaffnet, jeder Verteidigung beraubt, ist es den imperialistischen Mächten auf Gnade und Ungnade ausgeliefert.“ Der deutschen und französischen k.p. wurde anempfohlen, den gemeinsamen Kampf gegen den Versailler Vertrag zu führen. Die Taktik der Einheitsfront, d.h. der weiteren Annäherung an die sozialdemokratischen Parteien, wurde eingehend behandelt. Es wurden Abkommen „von unten“ und gleichzeitig mit den Spitzen empfohlen. Schließlich wurde erklärt: „Indem die Kommunistische Internationale die Parole der Einheitsfront der Arbeiter aufstellt und Übereinkommen der einzelnen Sektionen der Kommunistischen Internationale mit den Parteien und Verbänden der II. und II½ [Sozialistische Arbeiterinternationale] Internationalen zulässt, kann sie sich selbstverständlich nicht von ebensolchen Übereinkommen im internationalen Maßstabe lossagen.“ Die Komintern wurde also ganz offiziell an die Zweite Internationale herangeführt, die man folgerichtig für den parlamentarischen und moralischen Einsatz ihrer großen Parteien zum Zwecke der erstrebten Wirtschaftsabkommen mit den kapitalistischen Mächten gewinnen wollte. Aus dieser Absicht heraus wurde auch die Theorie von der „Arbeiterregierung in Westeuropa propagiert. Eine solche Regierung, die man sich zunächst durchaus parlamentarisch dachte, wurde als „eine Koalition aller Arbeiterparteien auf ökonomischem und politischem Gebiete zum Kampf gegen die bürgerliche Macht und zu ihrem schließlichen Sturz“ bezeichnet. Der „rein parlamentarische Ursprung“ einer solcher Arbeiterregierung wurde ausdrücklich für möglich erachtet.

Alle diese Beschlüsse waren speziell auf die deutsche Situation abgestellt. Das Bündnis mit der deutschen Bourgeoisie schien seiner militärischen Verwirklichung entgegen zu gehen. Die deutsche KP arbeitete der nationalen Einheitsfront in unerhörter, schamlosester Weise vor. Nachträglich, auf dem Essener Parteitag von 1925, erklärte die k.p.d., dass Deutschland bis Ende 1923 kein imperialistisches, sondern ein national unterdrücktes Land gewesen sei, dass der damals erwartete Krieg gegen Frankreich also ebenfalls kein imperialistischer, sondern ein nationaler Befreiungskrieg gewesen wäre, den das deutsche Proletariat gegebenenfalls hätte unterstützen müssen. Es ist möglich, dass die Kominternleitung 1923 noch glaubte, den bolschewistischen „Sozialismus“ auf den Spitzen der Bajonette der Rotarmisten nach Deutschland tragen zu können, um Deutschland erst „national zu befreien“ und dann die verbündete deutsche Bourgeoisie zu entthronen – eine Haltung, die der der Nationalkommunisten Wolfheim-Lauffenberg (1919) aufs Haar glich. Jedenfalls liquidierte Lenin im Jahre 1923 den letzten Rest von Klassengesichtspunkten, den er bis dahin noch vertreten hatte. Er sagte, dass der Sozialismus in den westeuropäischen hoch-kapitalistischen Ländern durch ein gleichmäßiges „Reifwerden dieser Länder, also nicht durch innere wirtschaftliche und soziale Entfaltung heranwachse, sondern auf dem Wege der Ausbeutung der einen Staaten durch die anderen.“ (sehe Gesammelte Werke, Bd. XVIII, S. 136 – russisch.)

Die Komintern suchte nunmehr, den „nationalen Befreiungskrieg“ gegen Frankreich als die deutsche Revolution zu propagieren und zu diesem Zwecke Masseneinfluss auf die deutsche Arbeiterschaft, d.h. auf die s.p.d. und die Gewerkschaften durch die Einheitsfronttaktik zu gewinnen. Heran an die parlamentarischen Regierungsorgane wurde die Parole, die die k.p.d. in Thüringen und Sachsen im Sommer 1923 schließlich direkt verwirklichte, indem sie mit der s.p.d. in diesen beiden mitteldeutschen Ländern nicht nur Einheitsfront machte , sondern auch Regierungskoalition. Angeblich geschah dies, um die „Revolution“ in Deutschland selbst vorzubereiten, d.h. sich auch der Kommandostellen der gesamten Weimarer Republik zu bemächtigen. Der für den Herbst vorbereitete Aufstand wurde jedoch angeblich wegen „Verrats“ der s.p.d. und wegen Versagens der Führung der k.p.d. praktisch auf Geheiß Moskaus abgesagt, das die hundertprozentigen Chancen auch diesmal nicht gegeben sah. Die Energien des deutschen Proletariats wurden verspielt, weil die Moskauer Karten zu schlecht gemischt erschienen.

Hatte die Komintern im Zeichen des russischen Wiederaufbaus schon Jahre vorher jede tatsächlich revolutionäre Politik in Westeuropa preisgegeben, so gab sie 1923 endlich auch endgültig den Versuch eines gewaltsamen Vorstoßes mithilfe der Roten Armee und eines etwaigen Militärbündnisses mit dem kapitalistischen Deutschland preis. Der Rückzug von 1923 war unvermeidlich geworden, weil die Ereignisse nicht den Krieg gegen Frankreich, sondern die „Machtergreifung“ an erste Stelle gerückt hatten. Deshalb verzichtete Moskau auf beides: auf das revolutionäre wie auf das kriegerische Abenteuer. Die Russen glitten in den Pazifismus hinein, den sie fortab als erstes Bedürfnis ihrer außenpolitischen Sicherung erkannten und bekannten.

Die Pazifizierung der russischen Westpolitik

Die n.e.p.-Periode brachte zwar eine rasche Wirtschaftserholung für Russland, blieb andererseits aber beträchtlich hinter den bolschewistischen Erwartungen zurück. Die Aufbauschwierigkeiten wuchsen, die ersten Planversuche entwickelten sich zu Experimenten neben der Wirtschaft, die ausländischen Konzessionen blieben im bescheidensten Umfang. Die Energie der Bolschewiki konzentrierte sich demgemäß ganz auf das innere Feld, ihre Schwierigkeiten nahmen sie vollauf in Anspruch. Ihre Außenpolitik nahm gegenüber dem westlichen Kapitalismus eine rein diplomatisch-defensive Funktion an: Pflege wirtschaftlicher Beziehungen, Schutz vor allen etwaigen Störungen und Erschütterungen, gleich viel ob kriegerischer oder revolutionäre Art.

Russlands Beziehungen zu Deutschland verloren den ausgesprochenen Bündnischarakter, wenn auch unter der Führung deutscher Reichswehrkreise eine weitere Zusammenarbeit auf lange Sicht angelegt wurde. 1925 wurde ein deutsch-russischer Handelsvertrag abgeschlossen, der auf lange Zeit hinaus an die weitaus erste Stelle im „Russengeschäft“ rückte. Im Jahre 1926 folgte sogar ein Nichtangriffspakt, der wahrscheinlich die Fortsetzung der deutsch-russischen Zusammenarbeit in der polnischen Frage repräsentieren sollte.

Ungeachtet dessen aber baute Russland seine Beziehungen zu den anderen kapitalistischen Mächten aus. Noch im Jahre 1923 hatte es seine Bereitschaft zur Teilnahme an der Konferenz zur Beschränkung der Seerüstungen erklärt. Im Verlaufe des Jahres 1924 erreichte es, gestützt auf die Lockungen seiner Handels- und Konzessionsangebote, seine endgültige völkerrechtliche Anerkennung durch eine ganze Reihe von Staaten. Unter anderen nahmen 1924 Großbritannien, Italien, Norwegen, Österreich, Griechenland, Schweden, Dänemark, Mexiko, der Hedschas, Ungarn, Frankreich die normalen diplomatischen Beziehungen mit Russland auf. Anfang 1925 schloss sich sogar Japan dem Reigen an. Nur die u.s.a., die reichlich mit ihrer ansetzenden Binnenkonjunktur zu tun hatte, verblieben „unversöhnlich“.

Der fünfte Weltkongress der Komintern, der im Sommer 1924 tagte, trug der „veränderten Situation“, das heißt der Wendung der russischen Außenpolitik voll auf Rechnung.

So konstatierte er das „Einsetzen einer gewissen demokratisch-pazifistischen Phase“ in der Weltpolitik und pries als das einzige Land einer Politik des „wahren Friedens“ die Sowjetunion. Wie immer schob die Kominternleitung diesmal die Verantwortung für die deutsche Niederlage von sich ab. An ihr sei, so sagte die Resolution zum Bericht des e.k.k.i., der „Verrat der Führer der s.p.d. und das Versagen der Führung der k.p.d.“ schuld. Die Einheitsfronttaktik wurde nunmehr nur noch als „eine revolutionäre Methode der Agitation und Mobilisierung der Massen“ ausgegeben, die „rechte Abweichung“ der Brandler-Thalheimer festgestellt (bei gleichzeitiger Wahl Brandlers zum Ehrenvorsitzenden des Kongresses!) und die kurze Aera Ruth Fischer-Maslow zwecks Verschleierung der Komintern-Niederlage gebilligt. Praktisch wurde die verstärkte „ultralinke“ Phraseologie kombiniert mit rein parlamentarischen Perspektiven. Die s.p.en wurden zwar als die drei Parteien der Bourgeoisien bezeichnet, dennoch aber die Bildung von „Arbeiterregierungen“ in einer „ganzen Reihe von Ländern“ vorausgesagt. Solche Regierungen würden „objektiv“ einen Fortschritt bedeuten, da sie die Zersetzung der Bourgeoisien anzeigten. Die Aufgabe der „wahren Anhänger der proletarischen Revolution“ bestehe darin, „möglichst rasch über die sogenannte Arbeiterregierung zur Diktatur des Proletariats zu schreiten.“ Den Gipfel aber erklomm die parlamentarisch-kretinistische Betrachtungsweise der Komintern zweifellos in der Bewertung der deutschen Niederlage. Es wurde erklärt: „Nach der schwersten Niederlage der revolutionären Bewegung in Deutschland, nach einer darauffolgenden inneren Krise und nach den brutalsten äußeren Verfolgungen raffte die Kommunistische Partei Deutschlands ihre Reihen rasch zusammen, schaffte sich eine feste Führung und demonstrierte durch einen glänzenden Wahlsieg mit 3¾ Millionen Stimmen ihre revolutionäre Kraft als größer und fester denn jemals zuvor.“ – Die mit Hilfe der Kominternführung zusammengerittene Revolution vom Herbst 1923 gab also den Anlass zur Feier der „revolutionären Kraft“ eines „Wahlerfolgs“, der zudem bereits im Dezember 1923 wieder zunichte gemacht wurde.

Auf diese Linie abgebogen, waren die Kominternparteien nichts mehr als ein Stachel im Fleische der kapitalistischen Staaten, die halb putschistisch, halb parlamentarisch operierten und ein Reserveeisen darstellten, das zu späteren Zeiten evtl. wieder auf den Sowjetamboss kommen konnte. Dabei dämpfte die Kominternführung selbst das Feuer. Bereits im Jahre 1925 wurde die deutsche „Ultralinke“ Fischer-Maslow erledigt, eine Aktion, die zur Abspaltung des trotzkistischen „Leninbundes“ führte, und in der k.p.d. die absolut gefügige und jeder Wendung gerecht werdende Führung Thälmanns ans Ruder brachte. Praktisch wirkten die Russen auf die Niederhaltung jedweder revolutionären Bewegung hin. Deutschland war zwar nach dem schimpflichen kampflosen Zusammenbruch von 1923 erledigt, aber in England wuchs die Krise erst heran. Unfähig, in England selbst eine irgendwie arbeitsfähige k.p. aufzuziehen, achteten die Russen nur darauf, dort irgendeine Gegenkraft gegen den scharf antirussischen Kurs der Bourgeoisie zu suchen. Sie akzeptierten die Ultra-reformistischen Gewerkschaften als diese Gegenkraft und bauten auf deren parlamentarischen Einfluss. Von 1925-1927 wirkte das glorreiche anglo-russische Komitée, die Einheitsfront zwischen der Führung des russischen Staates und dem englischen Reformismus als Einheitsfront gegen die antirussische Diplomatie Englands sowie gegen das englische Proletariat. Das Jahr 1926 brachte den gigantischen englischen Bergarbeiterstreik, den gewaltigsten Arbeitskampf, den England je gesehen hatte. Die mit den Russen verbündeten britischen Gewerkschaften drückten den Generalstreik ab und verhüteten die Ausweitung des Kampfes auf die Front der gesamten englischen Arbeiterklasse. Die mit den Russen verbündeten englischen Gewerkschaften ließen die Bergarbeiter in neunmonatigem Ringen hilflos verbluten. Die Bolschewiki aber verzichteten auf jeden angreifenden Schritt. Sie hielten das anglo-russische Komitée aufrecht, denn ihre diplomatischen Interessen standen ihnen weitaus höher als die Interessen des englischen und des übrigen Proletariats. Die Russen wollten die Kriegsgefahr gegen Irland abbiegen, sie wollten aber auch die europäische Revolution verhindern, die ihr angespanntes soziales System ebenso bedrohte, wie eine militärische Erschütterung.

Kurswechsel nach dem Osten

Nachdem die Revolution in Europa für die Bolschewiki erledigt war, konzentrierten sie ihre „revolutionäre Aktivität“ auf den Osten. Zu genau demselben Zeitpunkt, an dem sie die deutsche Revolution endgültig absagte, nämlich im Oktober 1923, traten sie mit der ersten internationalen Bauernkonferenz, der Gründung des „Internationalen Bauernrates“, der sogenannten Bauerninternationale hervor. Sie hofften, die bäuerlichen Bewegungen des kolonialen und halbkolonialen Ostens und dessen bäuerlichen Massenorganisationen durch diese internationale Organisation ebenso unter Moskauer Führung zu bringen, wie sie die kommunistischen Parteien Europas unter ihr Kommando gebracht hatten. Wenn dieser Versuch auch misslang, da er am ungeeigneten Objekt vorgenommen wurde, so ist er dennoch für die Politik der Bolschewiki äußerst bezeichnend. Und das umso mehr, als sie noch auf dem sechsten Weltkongress im Jahre 1928 das e.k.k.i. beauftragten, „schleunigst Maßnahmen zur Belebung der Arbeit des internationalen Bauernrates zu ergreifen.“ – Der fünfte Weltkongress der Komintern (Sommer 1924) begrüßte jedenfalls die Gründung der Bauerninternationale und machte es den einzelnen k.p.en zur Pflicht, sich überall um die Bauernorganisationen zu bemühen, sofern sie überhaupt Massencharakter haben, und auf die Schaffung von Arbeiter- und Bauernblocks hinzuarbeiten. Diese Beschlüsse waren ganz auf den Osten eingestellt und leiteten die Politik des Blocks der k.p. Chinas mit der Kuomintang ein.

Die Resolution zur Taktik, die auf dem fünften Weltkongress beschlossen worden war, erklärte mit großer Offenheit, dass „die Aufmerksamkeit der Komintern zu sehr vom Westen in Anspruch genommen“ worden wäre.

Die Keime der kommunistischen Parteien im Osten, die bäuerlichen Massenbewegungen, die gegen den Imperialismus gerichteten Bewegungen verschiedener Nationen und Nationalitäten verlangten die „größte Aufmerksamkeit“ der Komintern, zumal die Bewegung der unterdrückten Nationalitäten allein den Sieg der Weltrevolution gewährleisten könne. – Stalin erklärte in dieser Periode, dass die entscheidende Initiative zur Weltrevolution überhaupt vom Osten ausgehe.

Aber auch hier zeigte die Komintern-Politik von Beginn an ihr Doppelgesicht. Sie mobilisierte zur gleichen Zeit die Bewegung der bäuerlichen Massen, zu der sie auch mit den jeweiligen Regierungen verschiedener Länder des halbkolonialen Ostens verhandelte und paktierte. In der Türkei verzichteten die Bolschewiki überhaupt auf eine wirksame revolutionäre Politik und suchten die engste Zusammenarbeit mit Kemal Pascha, der ein Aktivposten im Ringen um die Vorherrschaft in ganz Asien war, die zwischen England und Russland ausgekämpft wurde. 1925 wurde ein Nichtangriffs- und Neutralitätspakt zwischen der SU und der Türkei geschlossen, der dieser engen Zusammenarbeit Ausdruck verlieh. Und das ungeachtet der Tatsache, dass Kemal Pascha jeden türkischen Kommunisten, den er erwischte, unbarmherzig hängen ließ. Mit Afghanistan schloss Russland im folgenden Jahr ebenfalls eine gegenseitige Neutralitätsverpflichtung ab. In diesem Vertrag wurde festgelegt, dass die vertragschließenden Partner verpflichtet seien, sich gegen jede Aktionslinie zu wenden, die dritte Mächte auf ihrem Territorium gegen den Vertragspartner entwickelten. Russland wollte verhindern, dass Afghanistan zum britischen Aufmarschgebiet gemacht wird. 1927 wurde weiterhin ein militärischer und wirtschaftlicher Nichtangriffs- und Neutralitätspakt mit Persien abgeschlossen, so dass die russische Diplomatie wiederum an der ganzen vorder- und mittelasiatischen Front Sicherungen schuf.

Die größte Bedeutung aber erlangten die Verträge, die Russland im Jahre 1924 mit China abschloss. In diesem Jahr erkannten die chinesischen Regierungen in der Mandschurei und in Peking Russland de jure an. Das Abkommen mit der feudal-reaktionären Pekinger Regierung brachte die Annullierung der alten zaristischen Raubverträge, den Verzicht auf die Boxerentschädigung. Die Ostbahn wurde als ein rein wirtschaftliches Unternehmen deklariert, die Rechte Chinas an der Bahn sichergestellt. Zugleich knüpften sich die Fäden zur Kuomintang, der Partei der bürgerlichen Revolution Chinas, für die sich Russland durch den Pekinger Vertrag besonders populär gemacht hatte. Die Zusammenarbeit zwischen der chinesischen Republik, den fortschrittlichen Kräften und den Bolschewiki schien auf lange Zeit sichergestellt.

Die Erledigung der chinesischen Arbeiterrevolution

Die Bolschewiki hatten in Russland auf dem Rücken eines Bündnisses zwischen Arbeitern und Bauern gesiegt. Die Weltrevolution betrachteten sie als die internationale Wiederholung dieses Experiments der bürgerlichen Revolution Russlands.

Hatten sie die Arbeiterrevolution in Europa zur Strecke gebracht, so glaubten sie nun mehr, das Schema der russischen Revolution auf den Boden Chinas zu überpflanzen.

Die revolutionäre Bewegung des chinesischen Proletariats zeigte seit 1925 einen im ganzen kolonialen Osten unbekannten Aufschwung. China wurde das einzige Land Asiens, in dem es der Komintern gelang, eine aktionsfähige Partei als Arbeiterpartei aufzuziehen. Gemäß der lenin-stalinistischen Theorie der nationalrevolutionären Befreiung der vom Imperialismus unterdrückten Nationen wurde diese Partei, die Führung einer heroisch kämpfenden frühkapitalistischen Arbeiterschaft, der Kuo-Min-Tang angeschlossen. Die Bolschewiki sorgten dafür, dass die Einheitsfront von der rechten chinesischen Bourgeoisie über das Kleinbürgerturm und der Bauernschaft bis zum Proletariat geschlossen wurde. Von Kanton ausgehend, entwickelte die Kuo-Min-Tang seit 1926 ihre militärischen Kräfte im Nordfeldzug, der sie innerhalb von zwei Jahren zum Herren von ganz China machte. Die zahllosen Bauernerhebungen sowie die heroischen Aufstände des chinesischen Proletariats bahnten den Süd-Truppen den Weg. Schanghai wurde im Sommer 1927 von Tschiang-Kai-Tschek eingenommen, während der Arbeiteraufstand den inneren Widerstand der Pekinger Truppen gebrochen hatte. Tschiang-Kai-Tschek forderte die Entwaffnung des Schanghaier Proletariats. Die c.p.ch, von den Moskauer Emissären bestimmt, lieferte die Waffen ab, und Tschiang-Kai-Tschek ließ die waffenlosen Arbeiter Schanghais in Massen abschlachten. Schanghai wurde von Moskau verraten, dem das Einverständnis mit dem Schlächter Tschiang-Kai-Tschek, das heißt mit der siegreiche chinesischen Bourgeoisie wichtiger war als der Kampf des chinesischen Proletariats, das in aussichtsloser Minderheit stand. Doch die Kuomintang, der die k.p.ch noch angehörte, fügte dieser Niederlage sofort die zweite hinzu. Ihre Truppen marschierten zunächst nicht auf Peking, sondern auf Wuhan, wo bereits eine „kommunistische Regierung“ bestand. Die Führer dieser Regierung, eben noch maßgebende Leute der Komintern, zogen die einzig möglichen Konsequenzen aus der „nationalen Politik“ der Bolschewiki selbst und liefen ins bürgerliche Lager über. Moskau nahm, um sich wieder reinzuwaschen, eine „Parteireinigung“ vor und schlug nunmehr, ganz wie in Deutschland nach 1923, nach links aus. Heinz Neumann organisierte den Kantoner Aufstand vom Dezember 1927, der nicht mehr ein wahnsinniges Abenteuer, sondern ein bewusstes Verbrechen war. Das Kantoner Proletariat kämpfte heldenmütig in einer von vornherein aussichtslosen Schlacht gegen die Truppen Tschiang-Kai-Tscheks, der nach großen Anstrengungen den Sieg davontrug und Tausende und Abertausende von Arbeitern noch nachträglich abschlachten ließ. Kanton bedeutete für China, was die Niederlage der Kommune 1871 für Frankreich bedeutet hatte: die physische Ausrottung eines kämpferischen Proletariats, das sich vielleicht um Jahrzehnte nicht von dem furchtbaren Aderlass erholen kann.

Shanghai und Kanton, diese beiden von der Komintern provozierten Niederlagen des chinesischen Proletariats erledigten den revolutionären Kampf der chinesischen Arbeiterklasse.

Die k.p.ch selbst feierte nur langsam Auferstehung, aber nicht mehr als Arbeiter-, sondern als reine Bauernpartei. Was sich seit 1930 an Kampf und Politik um „Sowjetchina“ entwickelt hat, ist der ostasiatische Bauernkrieg. Dieser Bauernkrieg steht unter Moskauer Führung und ist der letzte bürgerlich-revolutionäre Aktivposten der internationalen bolschewistischen Politik. An diesem Punkt ist die Sowjetunion tatsächlich noch aggressiv. Und diese außenpolitische Aggressivität, die sich der ostasiatischen Bauernbewegung bedient, ist die große Bedrohung Englands und macht die unversöhnliche Feindschaft zwischen dem Empire und der s.u. aus, die einen großen Teil der russischen Außenpolitik aber auch der europäischen Politik überhaupt bestimmt. Eine Konsolidierung Chinas in irgendwelcher Form müsste folgerichtig auch die Preisgabe der chinesischen Bauernrevolution durch Russland bringen, denn der bolschewistische Plan der Schaffung eines großasiatischen Blocks, gegenwärtig schon sehr unwahrscheinlich geworden, dürfte dann endgültig erledigt sein; Russland würde dann in Asien dieselben Wege gehen, die es seit 1923 in Europa geht.

Auf dem Wege zum Völkerbund

Als – nach vierjähriger Pause! – der 6. Weltkongress der Komintern im Jahre 1928 zusammentrat, hatte er die Liquidierung der chinesischen Arbeiterrevolution nur noch festzustellen. Man hatte nunmehr sogar in Moskau gemerkt, dass die Kuomintang „endgültig in das Lager der Konterrevolution übergegangen“ sei und Arbeitern und Bauern Chinas „schwere Niederlagen“ beigebracht habe. Die Orientierung auf die Bauernbewegung wurde deutlich ausgesprochen und als letzter Komintern-Aktivposten verbucht. „Die kolonialen Länder sind gegenwärtig der gefährlichste Frontabschnitt für den Weltimperialismus,“ erklärten die „Thesen über die revolutionären Bewegungen in den Kolonien und Halbkolonien.“ Dementsprechend wurden sehr detaillierte Anweisungen für die bolschewistische Politik in den größeren kolonialen und halbkolonialen Gebieten ausgearbeitet, die überdies allgemein missglückte Schaffung von Kominternparteien dort angeordnet. Es ist bezeichnend, dass die Thesen zur kolonialen Politik im offiziellen Protokoll des Kongresses 45 Seiten einnehmen, während die Thesen zur Taktik der Komintern im Ganzen nur 31 Seiten beanspruchen. Die Moskauer Aktivität war also eindeutig auf den Osten, und zwar den bäuerlichen Osten, ausgerichtet worden.

Wenn die Komintern auch in den Fragen der europäischen Politik schärfere Töne anschlug, so folgte das einerseits zwanglos aus der veränderten innenpolitischen Situation in Russland selbst, war andererseits aber auch das neue Täuschungsmanöver zur Abblendung der Politik der noch stärkeren Annäherung an die westeuropäische Bourgeoisie.

1928 erlangte die n.e.p.-Politik ihren endgültigen Abschluss. Die bolschewistische Regierung ging in der Frage der forcierten Organisierung und Konzentrierung der Industrie und Landwirtschaft zum abgerundeten Staatskapitalismus, zur Offensive über.

Der erste Fünfjahrplan wurde proklamiert, die Kollektivierung eingeleitet, der Kampf gegen n.e.p.-Spekulanten, Kleinhändler und Kulaken aufgenommen. In Übereinstimmung mit diesem verschärften Kurs proklamierte der 6. Kongress die famose Theorie der „dritten Periode“, die zum Krieg zwischen den imperialistischen Staaten und zum Krieg gegen die Sowjetunion sowie zur äußersten Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus führen sollte. Das Jahr 1929 war das Jahr der höchsten Nachkriegskonjunktur der kapitalistischen Länder: Nichtsdestoweniger hetzte z.B. die k.p.d. in diesem Jahre durch fortgesetzte Streik- und Generalstreikaufrufe, die der allgemeinen Lächerlichkeit anheimfielen, die revolutionären Arbeiterparteien zu Tode. Sie puschte die Erwerbslosen zu sinnlosen Aktionen auf, die deren Energien zerfraßen, ehe die spätere Krise den Einsatz der proletarischen Kräfte zu fordern begann. Der Annäherung an die s.p.d. wurde ein Ende gesetzt, diese Partei zum „Sozialfaschismus“ erklärt, die Gewerkschaften durch das r.g.o.-Fiasko gespalten, die Betriebsarbeit durch reine Erwerbslosenorganisationen abgelöst.

Zur gleichen Zeit stellte der 6. Kongress mit der Wendung der deutsche Außenpolitik die Vollendung des antisowjetischen Blocks der imperialistischen Staaten fest. Er brauchte diese falsche und blenderische These, weil die Russen mit dem Abschluss des chinesischen Abenteuers auf allen tatsächlich revolutionären Einsatz der internationalen Arbeiterschaft verzichtet hatten und somit, geadelt durch den Fünfjahrplan, den „Sozialismus in einem Lande“ dekorativ in den Vordergrund schoben. Weltimperialismus: Sowjetunion wurde die stalinistisch, vereinfachte Formel der Kominternperspektiven [?], währenddem sich die Sowjetunion aus demselben Grunde der Förderung der Fünfjahrplanpolitik, der ökonomischen und politisch-pazifistischen Verständigung mit den imperialistischen Weltmächten endgültig in die Arme warf [?].

Die Bestrebungen, in das imperialistisch-diplomatische Geschäft der Völkerbundstaaten zu kommen, wurde von den Russen schon Jahre früher aufgenommen. Die Teilnahme an der ersten Session der vorbereitenden Abrüstungskommission wurde im Frühjahr 1926 nur formal abgelehnt, da diese Tagung in der Schweiz stattfand und dieses Land sich bis dahin geweigert hatte, für die Ermordung Worowskis (1923 in Genf) irgendwelche Genugtuung zu geben. Ende 1927, zu demselben Zeitpunkt zu dem Tschiang-Kai-Tschek Neumanns Kantoner Aufstand niederkartätschte, zogen die Russen in die vorbereitende Abrüstungskonferenz ein. Sie brachten die internationale Diplomatie durch ihren Vorschlag der „vollkommenen Abschaffung aller Land-, See- und Luftstreitkräfte durcheinander, spielten sich aber bald auf die „vernünftigen“ Regeln der imperialistischen Außenpolitik ein. Schon im März 1928 zogen sie sich im „Sicherheitskomitée“ des Völkerbundes von der These der vollständigen auf die einer teilweisen Abrüstung zurück. „Da die meisten Delegationen unserem Vorschlag einer vollständigen und allgemeinen Abrüstung die Idee einer teilweisen Abrüstung […] entgegengesetzt haben, hat die Sowjetdelegation beschlossen, sich nach einem gemeinsamen Boden mit den anderen Delegationen, sei es auch nur auf dem beschränkten Gebiet einer solchen teilweisen Abrüstung, umzusehen“, erklärte Litwinow. Das Parkett, auf dem die Gruppierungen, Koalitionen und Gegenkoalitionen für den künftigen imperialistischen Weltkrieg zusammen – und auseinander geschoben wurden, war betreten. Die Russen agierten diplomatisch äußerst geschickt im Nebel dieser und folgender Abrüstungskonferenzen, die an sich nur die fortgesetzte und forcierte Aufrüstung aller Beteiligten einschließlich der Sowjetunion ideologisch vernebeln sollte.

Im Sommer 1928 schlossen die aufrüstenden Mächte den Kellogpakt, der ein vielseitiger Vertrag über das Verbot des Krieges als Mittel der Außenpolitik sein sollte, in der ganzen Welt begeisterte Zustimmung fand, von allen bedeutenderen Staaten unterschrieben wurde und praktisch dahin führte, dass erstens die Staaten nunmehr Kriege ohne formelle Kriegserklärung führten (z.B. Japan in der Mandschurei) und zweitens der Völkerbund bei allen kriegerischen Konfliktfällen seine jeweilige Unzuständigkeit als Garant des Kellogpaktes erklärte. Tschetscherin nannte den Kellogpakt einen Bestandteil der Kriegsvorbereitung gegen die Sowjetunion, womit er wahrscheinlich den Beitritt Russlands erklären und rechtfertigen wollte.

Friedensdiplomatie in der Weltkrise des Kapitalismus

Mit der eintretenden Weltkrise stieg die wirtschaftliche und politische Unsicherheit in der Weltpolitik. Demgemäß verstärkten die Russen ihre Bemühungen, wirtschaftliche und politische Verständigung mit den kapitalistischen Mächten zu sichern, alle äußeren Störungen von ihrem inneren Aufbau abzuhalten. Das Jahr 1929 brachte den Abschluss eines Ost-Kellog-Protokolls, in dem Estland, Lettland, Polen, Rumänien und Russland die Anerkennung des Kellogpaktes unabhängig von seiner Ratifizierung durch die 14 ursprünglich vertragschließenden Staaten vornahmen. Die Türkei und Persien schlossen sich diesem Ostvertrag an.

Das wirtschaftliche Geschäft mit den kapitalistischen Staaten machte Fortschritte. Im Jahre 1930 wurde ein Handelsvertrag mit England abgeschlossen, der mit Italien (1924) bedeutend erweitert. Im März 1931 nahmen die Russen an der internationalen Agrarkonferenz in Rom teil, um eine Absatzförderung für Sowjetexportgetreide zu erzielen. Ebenso beteiligten sie sich an der Agrar- und Exportkonferenz zu Stresa im Herbst 1932. Die Beziehungen zum deutschen Kapitalismus gestalteten sich so eng, dass im Frühjahr 1931 eine Reihe deutscher Großindustrieller nach Moskau reiste (Vertreter des Stahltrust, von Krupp, Gloeckner, Borsig, Siemens, a.e.g.), die Verhandlungen über die Ausbreitung des deutschen „Russengeschäfts“ führte und allein mit Aufträgen über eine halbe Milliarde Goldmark rechnete. Die Sowjetaufträge vermittelten 300-400 000 deutschen Arbeitern „Lohn und Brot“, wie die k.p.d.-Presse stolz verkündete, und einem Teil des bankerotten deutschen Kapitalismus Existenzmöglichkeiten und Profite, wie sie bescheiden verschwieg.

Die wirtschaftliche Diplomatie der Russen stand zum größten Teil aber nur im Dienste ihrer politischen Diplomatie. Und auf diesem Gebiet waren sie ungleich rühriger. Im Frühjahr 1931 brachten sie einen allgemeinen Nichtangriffspaktentwurf im Europa-Ausschuss des Völkerbundes ein, den sie im Herbst als wirtschaftlichen Nichtangriffspaktentwurf dem Völkerbund selbst vorlegten. Diese Entwürfe enthielten, wie alle späteren Abkommen und Anträge der gleichen Art, eine Definition des „Angreifers“. Alle diese Definitionen zeichneten sich durch eine formale Exaktheit aus, die allgemeinen Beifall fand. Dafür strichen sie praktisch alle die Auffassungen über das Wesen des Imperialismus und des imperialistischen Krieges aus dem Sowjetlexikon, die Lenin dort eingezeichnet hatte. Die Bolschewiki lösten die imperialistische Außenpolitik in eine „angreifende“ und eine „verteidigende“ auf und gingen damit auf die dürftige Ideologie zurück, mit der Parteien der II. Internationale im Jahre 1914 die Unterstützung des Krieges ihrer nationalen und imperialistischen Bourgeoisie rechtfertigten. Und das aus ganz den gleichen Gründen, denn die Russen suchten das Bündnis imperialistischer Bourgeoisien, und sie mussten bereits vorher die ideelle Rechtfertigung einer solchen Koalitionspolitik mit imperialistischen Gruppen suchen, die die Sozialdemokratie allerdings erst bei Ausbruch des Weltkrieges praktizierte.

Die Bolschewiki wurden international wegweisend für das System von Regionalpakten, das die zerfahrene Außenpolitik des Imperialismus in der Weltkrise auszeichnet. Im Jahre 1932 schlossen sie die Nichtangriffspakte an der Westgrenze ihres Staates mit Finnland, Polen, Lettland, Estland und Rumänien (unter Ausschließung der bessarabischen Frage). Dieser diplomatischen Sicherung der russischen Westgrenze folgte der Abschluss des Nichtangriffspaktes mit Frankreich, der im Februar 1933 ratifiziert wurde. Dieser diplomatische Schritt löste Russland von Deutschland und bereitete den großen Frontwechsel in der europäischen Politik vor, der sich mit dem Machtantritt Hitlers in Deutschland vollzog. Die Sowjetdiplomatie hatte den Wechsel der imperialistischen Pferde der Sowjetaußenpolitik gut berechnet.

Im Jahre 1932 existierten außerdem noch Nichtangriffspakte mit einer Reihe anderer Staaten, so mit Deutschland, mit Italien, mit der Türkei, mit China usw. Die diplomatischen Beziehungen mit der Regierung Tschiang-Kai-Tscheks, die im Dezember 1927 abgebrochen worden waren, wurden im Dezember 1932 ebenfalls wieder angeknüpft, überhaupt brachten die Umschichtungen im Verlauf der Weltkrise eine Reihe weiterer Staaten dazu, die Sowjetunion endgültig anzuerkennen, so Spanien und u.s.a. im Jahre 1933, Ungarn, Rumänien und die Tschechoslowakei im Jahre 1934. Die Anerkennung durch die drei letzteren Staaten erfolgte im Zuge der franko-russischen Bündnispolitik, während sich die u.s.a. zur Anerkennung der Sowjetunion bequemten, weil sie diese Macht im Spiel um die Vormacht in Ostasien, dem Spiel gegen Japan, nicht mehr entbehren konnten.

Die schroffe Wendung der deutschen Außenpolitik, die auf der Linie der alten Ost-Pläne Hitlers erfolgte, bewirkte im Verein mit der Steigerung der deutschen Rüstungsaggressivität eine Umordnung der gesamten europäischen AußenpoIitik. Indem die Methoden der faschistischen Innenpolitik auch in der deutschen Diplomatie angewandt wurden, brüskierte Hitler-Deutschland zwar seine Versailler Gegner, setzte aber seine Zwecke Zug um Zug durch. Ein wesentlicher Erfolg dieser Politik wurde die Herauslösung Polens aus der Gefolgschaft der französischen Politik. Russland sah sich infolgedessen von neuem an seiner Westgrenze gefährdet. Im Gegenzug verlängerte es im April 1934 den Nichtangriffspakt mit den drei baltischen Staaten um zehn Jahre. Diesen diplomatischen Schritt beschleunigte Deutschland, als es im gleichen Monat die Unterzeichnung eines Protokolls über die Unantastbarkeit der baltischen Staaten ablehnte, wie ihn Russland vorgeschlagen hatte.

Eintritt in den Völkerbund

Die Bolschewiki waren und sind meilenweit davon entfernt, antifaschistische Außenpolitik zu machen. Sie betonten seit Jahren ihre guten Beziehungen zu Italien, mit dem sie aus gewissen gemeinsamen anti-deutschen Interessen heraus im September 1933 einen neuen Nichtangriffs- und Neutralitätspakt abschlossen. Wenn sich die Russen aus einem Gegner des Völkerbundes zu dessen Anhänger machten, wenn sie aus einem Feind des Versailler-Vertrages zu dessen Garanten wurden, wenn sie Deutschland aus einer Stütze zu einem Angriffspunkt ihrer europäischen Diplomatie machten, so war das lediglich „durch gewisse Änderungen in der Politik Deutschlands“ bestimmt, wie Stalin auf dem 17. Parteitag der k.p.d.s.u. 1934 erklärte. Er stellte weiter ausdrücklich fest, dass es nicht richtig sei, dass diese diplomatische Wendung von den Bolschewiki verursacht worden sei. Im Gegenteil: „Gewiss, wir sind weit davon entfernt, über das faschistische Regime in Deutschland entzückt zu sein. Doch handelt es sich hier nicht um den Faschismus, schon allein deswegen, weil der Faschismus, z.B. in Italien, die Sowjetunion nicht daran gehindert hat, die besten Beziehungen zu diesem Lande herzustellen.“ Es handelte sich überhaupt nur um die Annäherung „an diese oder jene Länder“, „die nicht an der Störung des Friedens interessiert sind.“ – Womit der italienische Faschismus, ganz wie im Gehirn gewisser deutscher Pazifisten, als Verteidiger des „Friedens“ aufmarschiert.

Der Frontwechsel der bolschewistischen Außenpolitik also war die Folge des Frontwechsels der deutschen Außenpolitik. Die Russen lavierten zwischen den imperialistischen Großmächten, um ihre „Friedenspolitik“ durchzuführen, d.h. diejenige Mächtekoalition herbeizuführen und zu stützen, die in dem gegebenen Augenblick als die sicherste zur Verhütung eines militärischen Angriffes auf die SU und zur Isolierung etwaiger angreifender Mächte – heute Deutschland und Japan – führt.

Frankreich, seinerseits als Träger des zusammengebrochenen Versailler Systems und als Nachbar Deutschlands am unmittelbarsten von Hitler bedroht, wurde zum Vorkämpfer der Verständigung mit Russland. Es konnte seine großen Gegenzüge gegen die neue deutsche Außenpolitik, wenn auch nicht ohne Verluste, im ganzen nach dem Rezept einer vorbeugenden militärischen Einkreisung Hitler-Deutschlands (Polen ist ein großes Loch in diesem Ring) anlegen. Auf Frankreichs Initiative hin wurde Russland im Herbst 1934 von 30 Staaten eingeladen, dem Völkerbund beizutreten. Diesem Beitritt widersetzten sich lediglich drei europäische Kleinstaaten, die es sich noch leisten konnten, die Rettung der kapitalistischen Moral vor dem Bolschewismus zu predigen: das faschistische Portugal, das halbfaschistische Holland und die demokratische Schweiz. Die „Prawda“ vom 18. September 1934 motivierte die Einladung in den Völkerbund mit der Befürchtung der einladenden kapitalistischen Mächte, „die sowjetfeindlichen Pläne der imperialistischen Abenteuerelemente könnten das Vorspiel eines neuen, auch gegen eine Reihe imperialistischer Mächte gerichteten Weltkriegs sein“. Die Iswestija aber erklärte einen Tag früher, die kapitalistische Welt zerfalle in zwei Gruppen: eine, die gegenwärtig den Frieden will und eine, die das Kriegsabenteuer suche. Die Völkerbundmächte wurden nunmehr, nach dem Ausstieg Japans und Deutschlands, als die Friedensgruppe betrachtet (Italien-Abessinien!). Stalin seinerseits führte aus, dass der Völkerbund mit dem Beitritt Russlands „ein gewisser Bremsklotz werden“ könne, „um die Entstehung kriegerischer Handlungen hinauszuschieben oder zu verhindern“. Litwinow endlich wies in Genf auf die internationale Zusammenarbeit der s.u. mit dem überwiegenden Teil der kapitalistischen Mächte auf wirtschaftlichem, künstlerischem, sozialem, wissenschaftlichem und politischem Gebiet hin, die jetzt durch das gemeinsame Ziel der „Organisierung des Friedens“ bekrönt worden sei.

Nachdem sich die Ohnmacht des Völkerbundes in allen Fragen der Sicherung des Friedens und der Verhinderung irgendwelcher kriegerischer Überfälle in all den Jahren seines Bestehens mittlerweile den rosenrotesten Pazifisten-Optimisten geoffenbart hat, entdeckten die Bolschewiki endlich die pazifistische Wirksamkeit des Völkerbundes. Hinter ihren Friedensbeteuerungen steht sicher das Wissen um die Tatsachen. Aber sie machen in kapitalistischer Diplomatie, und die verlangt die Verkleidung von offensiven wie von defensiven Militärbündnissen mit pazifistischen Phrasen.

Hat der Eintritt in den Völkerbund den Russen eine ganze Reihe weiterer diplomatischer Erfolge gebracht, unter denen die fortgehende handelspolitische Annäherung an England zu den wichtigsten gezählt wird, so hat er praktisch vor allem die franko-russische Zusammenarbeit legitimiert. Einmal ging es Russland um die Fortführung der Sicherungspolitik an seiner Westgrenze. Deshalb setzten bereits im Dezember 1934 die Verhandlungen um den Ostpakt ein, den in erster Linie Frankreich garantieren sollte.

Diese Bemühungen, zunächst am Widerstand Deutschlands und Polens gescheitert, sind von den Russen noch nicht aufgegeben worden. Der tatsächliche Kernpunkt des Beitrittes zum Völkerbund aber ist das Bündnis mit Frankreich, das zweifellos ein Militärabkommen zur Grundlage hat und gegenseitige Sicherung vor einem deutschen Angriff darstellt.

Allein der Bolschewismus hat, getreu gerade den Methoden der imperialistischen Diplomatie, zeit seines Bestehens zwei Eisen im Feuer gehabt. Lange Zeit war die Komintern dieses zweite Eisen. Das aber ist vorbei. Heute geht es den Russen darum, sich die Hände frei zu halten für neue Umgliederungen ihrer Außenpolitik, zur Verbreiterung und Veränderung ihrer Bündnisfront zwischen den imperialistischen Mächten selbst. Bestätigt haben sie das einmal in ihrer ostasiatischen Politik, soweit sie sich dort mit Japan auseinanderzusetzen haben. Seit Beginn des mandschurischen Vorstoßes sind sie bemüht, sich mit Japan zu verständigen, den Krieg zu verhüten, weitgehende Kompromisse zu schlucken (Verkauf der Ostbahn für ein Trinkgeld) und zum Abschluss eines Nichtangriffspaktes zu kommen. Aber auch die europäische Politik der s.u. ist zugleich eine Politik der Annäherungsversuche an seine momentanen Hauptgegner. Die alte deutsch-russische Zusammenarbeit ist in Moskau unvergessen; unvergessen die Spekulation auf die Pläne des bürgerlichen Flügels der Reichswehrgeneralität, der heute noch die Schleichersche Konzeption einer Zusammenarbeit mit Russland vertritt (die imperialistische deutsche Bourgeoisie will kein „Siedlungsland“ im Osten erobern, sie sucht sich imperialistische Ziele). Die Bolschewiki rechnen auf einen eventuellen Durchbruch dieser Kräfte in Deutschland. Molotow erklärte auf dem 7. Sowjetkongress im Januar 1935, „dass wir keinen anderen Wunsch hatten und haben, als auch weiter gute Beziehungen zu Deutschland aufrechtzuerhalten. Es ist allen bekannt, dass die Sowjetunion von einem tiefen Drang erfüllt ist, die Beziehungen zu allen Staaten auszubauen, die Staaten mit faschistischem Regime nicht ausgeschlossen.“ Die „ultranationalistischen Rassentheorien“ der Nationalsozialisten, betonte Molotow, bildeten „natürlich“ kein Hindernis zur Entwicklung der russisch-deutschen Beziehungen: „Obwohl wir keine sehr hohe Meinung von diesen ‚Theorien‘ haben, verbergen wir nicht unsere Achtung vor dem deutschen Volke, als einem der großen Völker der jetzigen Epoche.“ Es handelte sich nur „um das, was gerade der Außenpolitik des jetzigen Deutschland zugrunde liegt,“ nämlich um die Frage, ob Hitlers Konzeption der deutschen Außenpolitik noch Geltung habe.

Die innerpolitischen Voraussetzungen der letzten Etappe der russischen Außenpolitik

Die konkrete, jeweils gegebene Linie der russischen Außenpolitik also wird von der jeweiligen Konstellation der imperialistischen Mächte weitgehend bestimmt.

Das Maß, in dem die Bolschewiki diese Außenpolitik ausfüllen, hängt aber von ihren inneren Kräften ab. Und die sind in der letzten Zeit bedeutsamen Verschiebungen unterworfen gewesen.

Das Regime des bolschewistischen Absolutismus hat einen entscheidenden Punkt überschritten. Seiner Abkunft und seinen sozialen Gleichgewichtsverhältnissen nach stützte es sich in der ersten Periode seiner Entwicklung entscheidend auf die Arbeiterschaft Russlands. Das Proletariat erschien als die politisch und wirtschaftlich privilegierte (wenn auch äußerst bescheiden privilegierte) Klasse. Das absolutistische Regime des Bolschewismus stützte sich vorwiegend auf die industrielle Klasse, um ein Gegengewicht gegen das zahlenmäßig unerhört überlegene Bauerntum zu schaffen und den industriellen Staatskapitalismus im forcierten Tempo aufzubauen. Die Industrialisierung Russlands aber gestattete es ihrerseits, den privaten Kleinkapitalismus der Bauern zu vernichten, das Land zu kollektivieren. Ein agrarischer Kollektivkapitalismus entstand, der einerseits seine eignen Interessen gegenüber dem Staatsapparat wie gegenüber der Arbeiterschaft zu vertreten wusste, und der andererseits erst für den Staatsapparat selbst zum tragenden Fundament werden konnte.

Mit den Erfolgen der Politik des zweiten Fünfjahrplanes haben die Bolschewiki die Verwandlung Russlands aus einem Agrarstaat in ein Industrieland verkündet. Das russische Proletariat stieg von 1928 bis 1934 von 17.3 auf 28.1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Kollektivbauern von 2.9 auf 45.9 Prozent, während die Einzelbauern von 72.9 auf 22.5 Prozent herabgingen. Die Arbeiterschaft bildet zwar immer noch eine Minderheit der Bevölkerung. Allein sie ist nicht nur hochindustriell organisiert, sie produziert heute auch den überwiegenden Teil aller sowjetischen Erzeugnisse. Dieses Übergewicht aber zwingt das absolutistische Regime der Bolschewiki als Hauptstütze nunmehr die agrarische Klasse heranzuziehen, das Schwergewicht des Staatsapparates auf die schwächere Seite zu verlegen, um das Gleichgewicht der beiden Klassen zu erhalten und damit die Regierungsmöglichkeit für die absolutistische Spitze.

Das russische kollektivierte Bauerntum wird zur privilegierten Klasse der Sowjetunion. Vollzog sich der industrielle Wiederanstieg Russlands bis zum Jahre 1923 auf Kosten der Bauernschaft, so vollzog sich die Kollektivierung selbst bereits auf Kosten des Proletariats. Die Milliardeninvestitionen für die russische Agrarwirtschaft mussten dem industriellen Sektor der russischen Wirtschaft entzogen werden und erklären zum größeren Teil bereits die angespannte soziale Situation, in der sich das russische Proletariat trotz aller Fünfjahrplan-Erfolge befand. Die Abschaffung der Brotkarten und die ihnen folgende entsprechende Verteuerung des Brotes war ein Geschenk an die Kollektivbauern, denen Stalin im Jahre 1932 „Wohlstand“ versprochen hatte. In den letzten vier Jahren hat die Regierung für die Organisierung der Maschinen- und Traktorenstationen beinahe 5 Milliarden Rubel aufgewendet, eine Summe, die die russische Industrie aufbringen musste.

Die Geldverschuldung der Kollektiven an den Staat bis zum Jahre 1933 – insgesamt in einer Höhe von 435 Millionen Rubel – wurde Ende 1934 gestrichen, das Geld den Bauern also ebenfalls geschenkt.

Angeblich sind die Kollektivwirtschaften, wie heute sogar die Menschewikin Domenewskaja entdeckt hat, sozialistischen Charakters. Stalin hatte jedoch schon auf dem 17. Parteitag erklärt, dass die kleinbürgerliche Gleichmacherei der Kommunen liquidiert werden müsse. Die landwirtschaftlichen Kollektive sind Artels, die dem persönlichen Besitz des Bauern bedeutenden Spielraum lassen. Im Februar 1935 wurden auf dem Kongress der Kollektivbauern von Stalin entworfene Musterstatuten für die Kollektivwirtschaften angenommen. Diese Statuten haben den Grund und Boden den Kollektivwirtschaften „für ewige Zeiten verbrieft“, wie der Sekretär der Moskauer Parteiorganisation erklärte (sehe Rundschau, 1935, Nr. 28). Der nationalisierte Boden ist zum Privatbesitz der bäuerlichen Kollektiven gemacht worden. „Jeder Kollektivbauer fühlt jetzt“, sagte der Moskauer Parteisekretär weiter, „dass die allgemeine Versammlung der Mitglieder einer Kollektivwirtschaft Herr über das kollektivwirtschaftliche Gut ist, dass ihn kein irgendwelcher ‚Bevollmächtigter‘ aus der Kollektivwirtschaft ausschließen kann, dass er gleichberechtigter Mitbestimmer der gemeinsamen kollektivwirtschaftlichen Angelegenheiten ist.“ Es wurde schärfstens Front gemacht gegen die „absolut unzulässigen tölpelhaften Eingriffe in das Leben der Kollektivwirtschaften“ durch „einige Parteiorganisationen“, denen deutlich gemacht wurde, „dass wir Leute, die die kollektivwirtschaftlichen Statuten verletzten, weder im Partei-, noch im Sowjetapparat dulden können.“ Die Kollektivbauern – unbeschränkte Herren ihrer Güter – wurden also der Vormundschaft der Parteiorgane enthoben. Die „führende Rolle des Proletariats“ über das Bauerntum wurde somit endgültig aufgehoben.

Und wie wirtschaftlich, so politisch. Hand in Hand mit dieser umwälzenden Reform der Verfassung der Kollektivwirtschaften ging die Aufhebung der formalen Benachteiligung der Bauernschaft auf politischem Gebiet. Der 7. Sowjetkongress führte die gleichen direkten und geheimen Wahlen und damit eine Art „Sowjetparlamentarismus“ ein, durch den das Gewicht der Bauernschaft bei allen Abstimmungen voll in die Waagschale geworfen werden kann. Die künftigen Sowjetkongresse werden also ebenso wie die Kongresse der ihnen untergeordneten Parlamente von bäuerlichen Mehrheiten beherrscht werden. Die Spitze des bolschewistischen Staates befreit sich damit von dem proletarischen Druck, den sie früher in ihrem Apparat benötigte und der sich jetzt für sie zu bedrohlich auswirken müsste. Denn trotz aller diktatorischen Sicherungen existiert das Sowjetregime doch nur unter der Ausnützung der Massenkräfte des Landes, denen es gleichzeitig Rechnung zu tragen hat und zwischen denen es manövrieren muss.

Der Übergang des absolutistisch-bolschewistischen Systems auf die Bauernschaft als Hauptstütze aber bedeutete die Entprivilegisierung der Parteischichten proletarischer Herkunft.

Sie stellt überdies einen derartigen Bruch mit der Parteitradition dar, dass sie nicht ohne innere Erschütterungen im Parteiapparat abgehen konnte, ungeachtet der Tatsache, dass diese Partei schon Dutzende von Malen gesäubert worden war. Stalin musste sich aufs Neue gegen seine Partei wehren, um ihren Konservativismus zu brechen. Er tat das mit der gewohnten bolschewistischen Rücksichtslosigkeit, indem er, wenn nicht den allmählichen vollständigen Abbau des Parteiapparates, so doch die weitere Entpolitisierung dieser Partei einleitete. Bestand das Übergewicht der proletarischen Klasse im Sowjet-Absolutismus darin, dass der Parteiapparat faktisch über dem Staatsapparat stand, während Stalin beide vereinte und beherrschte, so wird das Übergewicht der Bauernschaft im Sowjetsystem dazu führen, dass der Staatapparat sich über den Parteiapparat stellt.

Bis jetzt hat diese grundlegende Umschichtung zwei Maßnahmen von größter Bedeutung ausgelöst. Die erste war die Liquidierung der Vereinigung alter Bolschewiki, d.h. die Vernichtung des Zentrums der „proletarisch“-revolutionären Tradition der k.p.r.. (Nach bürgerlichen Pressemeldungen wurde auch die Krupskaja verhaftet.) Die zweite dieser Maßnahmen war die, wie verschämt gesagt wurde, Umstellung des Apparates des Jugendverbandes. Dieser Verband war bisher nach dem „Produktionsprinzip“ – wie die k.p. selbst – organisiert und in den Betrieben verankert. Er galt als eine der schneidigsten Waffen der Partei in den Betrieben und spielte dort als Organisator der Stoßbrigaden, als Eintreiber der Staatsanleihen usw. eine bedeutende Rolle. Er war ein lebendiges politisches Instrument der bolschewistischen Partei. Vielleicht der lebendigste, denn die Jugendorganisation war zugleich auch immer ein Herd der verschiedensten Oppositionen und ein Träger der „bolschewistischen Selbstkritik“, von der seit längerer Zeit nichts mehr zu hören ist. Als relativ schwächster Punkt der Partei musste der Jugendverband zuerst daran glauben. Bereits am 22. Februar 1935, also unmittelbar nach dem 7. Sowjetkongress, der die Bauernklasse aufs Schild erhoben hatte, wurde seine „Reorganisation“ beschlossen. Diesem Beschluss kam das Juni-Plenum des Jugend-z.k.s nunmehr nach. Der sozialdemokratische Standpunkt, dass die Jugendorganisation keine politische, sondern nur erzieherische Funktionen habe, wurde hier in die Tat umgesetzt. Die betrieblichen Jugendorganisationen wurden zerschlagen. Der k.j.v. wird neu eingeteilt in sieben Sektionen: Arbeiterjugend, Bauernjugend, Jugendpioniere, Studenten, Mittelschüler, führende k.j.v.-Organe, Jugendarbeit der Staats- und Handelsorganisationen. Politisch ist der k.j.v. damit liquidiert, sein Feld bleibt das Jugendidyll: „Wie ein sorgsamer Gärtner ist er berufen“, schreibt die Prawda in einem Leitartikel Mitte Juni, „Millionen Menschen großzuziehen, ihre Weltanschauung zu gestalten, sie zu unterrichten, zu heben und zu pflegen.“

Die Liquidierung der Komintern

Im Zeichen dieser innerpolitischen Wendung, der politischen n.e.p.-Wendung Stalins, sind die letzten traditionellen Hemmungen gefallen, die sich bisher noch aus der Existenz der kommunistischen Parteien in Europa für die bolschewistische Außenpolitik ergaben. Der Zusammenarbeit des russischen Staatskapitalismus mit dem monopolkapitalistischen und teilweise offen faschistischen Imperialismus steht nunmehr überhaupt keinerlei äußerliche Rücksicht mehr im Wege. Die hinderliche Revolutionsphraseologie kann endlich preisgegeben werden.

Bisher war die „Weltrevolution“ wenigstens auf dem Papier anerkannt als die wesentlichste und erste Garantie gegen eine Intervention imperialistischer Mächte. Praktisch verließen sich die Bolschewiki jedoch nur auf ihre Diplomatie und auf das, was dieser Einfluss verschaffte, auf die hochorganisierte und technisierte Rote Armee. Der kürzlich verstorbene stellvertretende Vorsitzende des Rates der Volksbeauftragten Kuibyschew kleidete das nunmehr auch unverhüllt in Worte ein. Er führte auf dem 3. Moskauer Sowjetkongress im Januar 1935 aus:

„Während wir auf der internationalen Arena um den Frieden kämpfen, müssen wir jedoch daran denken, dass die beste Garantie gegen einen Krieg, gegen eine Intervention nach wie vor die erstarkende Macht des bewaffneten Hüters unseres Vaterlandes – der Roten Armee der Arbeiter und Bauern – ist.“ Die Proletarier, die in ehrlichem revolutionären Wollen sich den kommunistischen Parteien anschlossen und für sie das Martyrium der faschistischen Terrorherrschaft auf sich nahmen, zählten bei den Bolschewiki bereits früher nichts. Im Allgemeinen wurden sie mit Sympathiekundgebungen oder Protestresolutionen bedacht, die an der Friedens- und Freundschaftspaktpolitik zwischen dem „Vaterland aller Werktätigen“ und ihren faschistischen Bedrückern nicht das Mindeste änderten und nichts ändern durften. Gelegentlich aber sprachen die Soldschreiber der Bolschewiki ihre Meinung auch offener aus. So schrieb Péri in der Rundschau, 1933, Nr. 33 anlässlich des Abschlusses des neuen Nichtangriffspaktes mit Italien mit einem schamlosen Zynismus, der seinesgleichen wohl suchen dürfte: „Unsere italienischen Kampfbrüder, die in den Zuchthäusern und auf den Verbannungsinseln leiden, werden die Tatsache, dass ihre Henker gezwungen sind, mit den Vertretern jener revolutionären Ordnung zu verhandeln, für deren Triumph die wertvollsten der Unsrigen ihre Freiheit aufgeopfert haben, als eine Ermutigung zum Widerstand und zum Kampf ausdeuten.“ – Der kommunistische Arbeiter also war längst preisgegeben, als die Komintern noch den „antifaschistischen“ Scheinkampf gegen diejenigen Mächte führte, die mit der Sowjetunion bereits auf das Engste liiert waren.

Mit dem letzten französisch-russischen Pakt aber, bei dem es nicht mehr nur um diplomatische Abkommen, sondern um eine direkte militärische Zusammenarbeit ging, mussten die Führer des Bolschewismus auch den Schein einer „revolutionären“ Zweideutigkeit preisgeben.

Augenscheinlich pochten die Franzosen auf Garantien gegen eine Störungspolitik der k.p. Frankreichs. Stalin gab sie. Er versicherte Laval anlässlich dessen Moskauer Besuches, dass Frankreich selbstverständlich Maßnahmen zu seiner militärischen Verteidigung durchführen müsse. Die „Iswestija“ schrieben am 16. Mai: „Die Aufgabe der öffentlichen Meinung beider Länder ist die Unterstützung der Politik ihrer Regierungen, die die Politik des Friedens und der Verteidigung ist.“

Dem Pakt mit Frankreich folgte der mit der Tschechoslowakei, die sich infolge ihrer bedrohten Lage zwischen Hitler-Deutschland und dem umstrittenen Österreich sofort dem franko-russischen Pakt anschloss. Die „Iswestija“ motivierten dieses neue Bündnis – bis 1934 hatten keine diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern bestanden – in ihrer Nummer vom 16. Mai u.a. mit den folgenden Worten: „Wenn aber der deutsche Faschismus zur Verschleierung seiner Eroberungspolitik eine Theorie schafft, wonach die slawischen Völker den Dung der Geschichte abgeben, so verbürgt die Sowjetunion, die sich mit keinerlei panslawischen Maskeraden abgibt, in jeder Weise, dass sie die Verteidigung der slawischen Völker, die vom Angriff bedroht sind, für nicht weniger begründet und unterstützungswürdig erachtet als die Verteidigung Frankreichs.“

Da der verbliebene Apparat der Kominternparteien über keinerlei Eigenleben mehr verfügt, so bereitete die fällige Umstellung ihrer Politik nicht die geringsten inneren Schwierigkeiten. Die Politik der Militärbündnisse mit kapitalistischen Staaten verlangte die Liquidierung der Störungspolitik der Kominternparteien in den betreffenden Ländern. Moskau vollzog diese Liquidierung, die dicht an das Ende der europäischen k.p.en überhaupt heranführt, auf doppeltem Wege. Erstens war es notwendig, dass die französische und tschechische Partei auf die Linie der Landesverteidigung einschwenkten. Das geschah prompt. Die französische k.p. stand allerdings vor der schwierigen Aufgabe, diese Linie mit dem traditionellen Antimilitarismus der französischen Arbeitermassen zu verbinden. Sie sprach vorsichtig und diplomatisch. „Der gegenseitige Beistand schließt die entsprechenden Maßnahmen zur Verteidigung des Friedens ein“, schrieb Magnien am 16. 5. in der Humanité. „Um den Frieden zu retten, soll ein Bolschewik alles tun,“ erklärte Vaillant-Couturier zwei Tage später im selben Blatt. Er verglich den Pakt mit der n.e.p.-Politik. Es gelte, Zeit zu gewinnen, um den Krieg hinauszuschieben und „unser sozialistisches Vaterland“ zu schützen. Andere Gründe seien in den Worten Stalins nicht zu suchen. Weiterhin wurde beteuert, dass die k.p.f. der Verteidiger der französischen Soldaten bleibe und die Armee erobern wolle. Praktisch aber blieb eigentlich nur die Forderung übrig, die faschistischen und reaktionären Offiziere aus der Armee zu verjagen, da man ihnen die ernstliche Verteidigung der u.d.s.s.r. doch nicht zutrauen könne. In der Tschechoslowakei, wo der Nationalismus einerseits, die sozialdemokratische Sanftheit der k.p. andererseits bedeutend größer waren, machte man sich die Sache leichter.

Sverma, ein neugewählter Abgeordneter der k.p.t.sch, erklärte am 24. Mai in einer Prager k.p.-Versammlung, dass die tschechischen Kommunisten, falls die tschechoslowakische Armee konsequent gegen den deutschen Imperialismus kämpfe, diesen Kampf unterstützen und für die Armee eintreten werden. Er erklärte sich für die Erhaltung der Selbständigkeit der tschechischen Nation, die durch eine von Faschisten gesäuberte Armee gewährleistet werden könne.

Um diese Politik der „Vaterlandsverteidigung“ entsprechend den Absichten der Sowjetdiplomatie in der Politik der verbündeten kapitalistischen Nationen wirksam zu machen, müsste die Komintern erneut das entsprechende parlamentarische Feld dafür suchen. Das hieß praktisch, die Kominternparteien mussten an die Sozialdemokratie der betreffenden Länder angehängt werden. Die Einheitsfront mit den Spitzen des „Sozialfaschismus“ wurde plötzlich die einzig linientreue Parole der KPen.

In Frankreich erstand die „front commun“, Wellen der Begeisterung und Scheinaktivität auslösend. Wenn die Verhandlungen im Ganzen nicht so reibungslos und glatt fortgingen, so lag das daran, dass Differenzen in der Frage der Ausdehnung dieser Front entstanden. Während die k.p. auch linksbürgerliche Parteien einbeziehen wollte (wenn schon Koalition, dann bis zur demokratischen Bourgeoisie), setzten die Sozialdemokraten dem ihr traditionelles Nein entgegen und gelangten so vor der französischen Arbeiterschaft in den Ruf, die radikalste, die „linkeste“ Partei zu sein. Indessen konnte Blum auf dem Kongress seiner Partei in Mühlhausen (Juni 1935) nicht verhehlen, „dass die Erklärungen Stalins den Beschlüssen der französischen Sozialistenpartei in Tours über die Landesverteidigung vor drei Jahren entsprechen und infolgedessen der künftigen organisatorischen Einheit von Sozialisten und Kommunisten dienen. Im Falle einer deutschen Invasion würden sich alle Proletarier gegen den äußeren Feind erheben, denn die Niederlage Frankreichs würde die Niederlage Russlands bedeuten.“ (n.z.z. [Neue Zürcher Zeitung] vom 13. Juni) – Es ist tatsächlich nicht ausgeschlossen, dass Moskau auch die direkte Liquidierung seiner europäischen Ableger anordnet, wenn die Dinge noch weiter treiben. Wenn es den Bolschewiki gelingt, einen indirekten Einfluss auf die sozialdemokratischen Parteien zu gewinnen, ohne für sie verantwortlich zu sein, so wird das in der jetzigen Weltsituation den Plänen Moskaus am förderlichsten sein. (An sich zieht sich die Vereinigungstendenz nach der sozialdemokratischen Seite hin durch die verschiedenen bolschewistischen Richtungen. Die Trotzkisten Frankreichs, der Schweiz usw. sind bereits in der Sozialdemokratie, in andern Ländern wirken sie in ähnlicher Richtung. Die k.p.o. Schaffhausen vollzog Anfang Juli 1935 ihren Zusammenschluss mit der s.p.s.)

Die Schweizerische k.p. ist dem Zug zur Sozialdemokratie restlos gefolgt. Nach einer Kampagne gegen die sozialdemokratisch-gewerkschaftliche „Kriseninitiative“ hat sie kurz vor der Abstimmung dazu aufgerufen, dieser Initiative zuzustimmen. Die Lage hatte sich natürlich grundsätzlich geändert. Die s.p.s. hatte zwar eine weitgehende Ausschaltung des Parlaments für die Durchführung der Initiative vorgeschlagen, aber der Bundesrat beabsichtigte noch weitergehende diktatorische Vollmachten für sich. Also zog die k.p.s. nach dem bewährten sozialdemokratischen Rezept des kleineren Übels die halbe Diktatur der dreiviertel Diktatur vor. Diesem Umfall folgte ein Einheitsfrontangebot an die s.p.s., dem die Vorbereitung der Auflösung der r.g.o. in Basel folgt. Die s.p.s. stellte fünf Bedingungen; unter anderem die Liquidierung der r.g.o. und ähnlicher k.p.-Sonderorganisationen, die Einstellung aller Angriffe auf die sozialdemokratische Politik, insbesondere auf die sozialdemokratischen Funktionäre im Verwaltungsapparat, die bedingungslose Zustimmung zum schweizerischen „Plan der Arbeit“. Die k.p.s. hat das alles selbstverständlich unterschrieben. Sie musste sogar die ironische Bemerkung des s.p.s. Vorstandes einstecken, dass allerdings eine Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien, wie sie von den französischen Kommunisten gefordert worden sei, nicht infrage komme.

Wie bis zum Jahre 1932 der „Sozialfaschismus“, so ist gegenwärtig die „Einheitsfront“ zur Achse aller k.p.-Politik geworden. Bela Kun setzte in Nummer 11 der „Kommunistischen Internationale“ in einem langen Artikel die Taktik und die Erfolge der KP anlässlich der Einheitsdemonstration am 1. Mai auseinander. Zur deutschen Frage führt er aus: Wenn die Mehrheit des Prager s.p.d.-Vorstandes offen bestrebt ist, die imperialistische Kriegspolitik Hitler-Deutschlands zu unterstützen, um wieder ins Geschäft zu kommen, so ist die Herstellung eines weit engeren Kontaktes der Kommunisten mit den linken Mitgliedern und Gruppen der s.p.d., die Schaffung „lebendiger Beispiele der Einheitsfront“ und „die Verstärkung des breiten Massendrucks“ auf den Prager s.p.d.-Vorstand nötig. Diese interessanten Ausführungen beweisen erstens, dass die k.p.d. in der deutschen Arbeit sehr schlecht stehen muss, denn sonst würde sie sich nicht an den s.p.d.-Vorstand wenden, nachdem sie nach Hitlers Sieg erklärt hatte: Die s.p.d. bleibt der Hauptfeind. Sie beweisen außerdem, dass die Komintern hier überhaupt nur um ein Stück Einfluss auf die restliche Stütze eines sozialdemokratischen Apparates „kämpft“, der von der Geschichte bereits ausgebootet ist, zur Zeit der Abfassung des Kunschen Artikels gerade dem Kampf der „Linken“ um ihren Anteil an der Parteivorstandsmillion ein Ende machte, indem er diese heraus warf aus seinem Unternehmen zur Bezahlung seiner eigenen Verdienste um die deutsche Arbeiterschaft. Gegenwärtig hat die Gestapo übrigens den illegalen s.p.d.-Apparat weitgehend aufgerollt, neue umfangreiche Verhaftungen vorgenommen und so die Ernte gehalten, die ihr zwei Spitzel in der inneren deutschen zentralen Leitung der s.p.d. vorbereitet haben. Der s.p.d.-Vorstand hat nach unseren sicheren Informationen im Augenblick überhaupt keinerlei Verbindungen mehr nach Deutschland und hat beschlossen, auf Monate auch keine zu suchen.

Schluss

Die Außenpolitik der Sowjetunion hat also folgerichtig – aus der ursprünglichen Situation der russischen Revolution hervorwachsend – ihren Weg bis zur militärischen Eingliederung in das System der imperialistischen Bündnispolitik zurückgelegt. Sie hat die kommunistischen Parteien entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen der einzelnen Etappen dieses Weges auf dem Rücken des europäischen Proletariats bis an den Punkt dirigiert, an dem ihre politische Liquidierung zugunsten der national-reformistischen Politik der Sozialdemokratie bereits zur lediglich formalen Frage geworden ist. Das geschieht nicht ohne den neuerlichen illusionären Auftrieb der „Einheitsfrontbegeisterung“ eines europäischen Proletariats, das in der heutigen Periode der allseitigen Konterrevolution und Reaktion rettungslos in die Sackgasse der nationalen Beschränkung hineingelaufen ist. Sein weiterer Weg kann nur sein ein weiterer stückweiser Zusammenbruch. Eine gesunde Klassenreaktion gegen den fortdauernden ideologischen und praktischen Niedergang ist in den europäischen Staaten im Augenblick noch nicht einmal in den allerbescheidensten Anfängen sichtbar. Es scheint, dass Sozialdemokratismus und Bolschewismus ihr Werk der Zerstörung jeglicher proletarischer Aktionskraft bis zum vollen Ende gehen müssen, ehe die proletarische Wendung überhaupt möglich wird. Aber die Weltsituation ist derartig mit wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten, Gegenkräften und Widersprüchen überladen, dass diese proletarische Wendung auf lange Sicht gesehen unvermeidlich kommen wird. Die Trümmer aller „alten Arbeiter‚bewegung‘“ werden den Weg des Wiederanstieges zu einem unerhört mühseligen machen, aber sie werden ihn auch endlich freigeben.


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Compiled by Vico, 2 December 2020


























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