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Antonie Pannekoek Archives

Pressedienst

Quelle: a.a.a.p.


Pressedienst

Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; €15,80.


Thema: Die ökonomische Lösung für die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus


Bedarfswirtschaft


Quelle:  Pressedienst der g.i.k., Nr. 13, 1929 (i.i.s.g. ); Transkribiert und herausgegeben von Hans-Peter Jacobitz und Thomas Königshofen; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


20. September 1929

Folgender Artikel war ursprünglich für „Proletarischer Zeitgeist“ (1) geschrieben. Weil das Thema aber in breiteren Kreisen Interesse wecken dürfte, bieten wir ihn neben den Lesern des „Proletarischer Zeitgeist“ auch unseren Lesern zur gefälligen Kenntnisnahme an.


Die Problemstellung

Die Gruppe der Internationalen Kommunisten Hollands hat mit Freuden bemerkt, dass der Proletarischer Zeitgeist das Thema der Bewegungsgesetze der kommunistischen Bedarfswirtschaft zur Diskussion gestellt hat. Genosse Drewes (2) hat „Die Grundzüge zu einem neuen System der Volkswirtschaft“ dargelegt, wenigstens der Überschrift seiner Artikelserie nach, und eine freundliche Einleitung zur Polemik, welche wir freudig akzeptieren, hinzugefügt.

Wir wollen in dieser Polemik nicht alles von Drewes Herangeholte unter die Lupe nehmen. Er bringt Spalte für Spalte Betrachtungen über Philosophie, Ökonomie, Soziologie, Psychologie, er zeigt den Marxismus als eine „Afterwissenschaft“ (3), was alles sehr interessant sein möge, aber die Probleme, worum es sich tatsächlich handelt, werden dadurch nur verschleiert. Wir haben des Philosophierens genug, es kommt drauf an, die Welt zu ändern.

Allerdings brauchen wir jetzt „Grundzüge zu einem neuen System der Volkswirtschaft“, aber diese können nur eine ganz konkrete Stellungnahme bezüglich eines konkreten, ökonomisch und politischen Programms zur Durchführung der sozialen, proletarischen Revolution sein. Das heißt: Wir müssen jetzt die konkreten Leitsätze aufstellen, nach welchen alle Arbeiter in Stadt und Land ihren Betrieb bei der Bedarfswirtschaft einschalten, die den Weg zeigen zur Aufhebung der Lohnarbeit und angeben, welche ökonomischen Bewegungsgesetze zum Durchbruch gebracht werden sollen.

Wenn Genosse Drewes also „Grundzüge zu einem neuen System der Volkswirtschaft“ bringt, interessieren uns seine Ausführungen, ob die Sozialität- und Geselligkeitsbetriebe eine „kosmische Ingredienz im Körper des Menschen“ sind, ebenso wenig wie seine Betrachtungen über historisch-materialistische oder idealistische Geschichtsauffassung. Auch die Begründung des Sozialismus als die „Harmonie mit der Einheit des Kosmos“, oder die Frage, ob der Marxismus „keine theoretische Basis hat“ und nur „eine Korruptionserscheinung“ darstellt, interessiert uns jetzt ebenso viel, wie welche Schuhgröße Marx getragen hat. All diese Dinge leiten die Aufmerksamkeit ab von den Problemen, worum es sich in Wirklichkeit handelt. Will Drewes also wirklich Grundzüge aufzeigen, dann muss er – unter Beiseitelassen von allem drum und dran – Antwort geben auf folgende Fragen:

1. Wenn wir das „neue System“ von der ökonomischen Seite betrachten: Welche Bewegungsgesetze für den Produktenstrom werden an die Stelle der Bewegungsgesetze des Profits gestellt?

2. Nach welchen Bewegungsgesetzen vollzieht sich in diesem „neuen System“ der Bedarfswirtschaft die einfache Reproduktion des Wirtschaftsapparates? Und welche Bewegungsgesetze liegen der Reproduktion auf erweiterter Stufenleitung zugrunde?

3. Welches sind die Bewegungsgesetze der Güterverteilungen: a) die der Produktionsmittel und Rohstoffe, b) die der individuellen Konsumgüter?

4. Das neue System von der politischen Seite aus betrachtet. Welche Sicherungen bietet es dann, dass die Arbeiterklasse Leitung und Verwaltung des Wirtschaftsapparates in den Händen behält?

5. Welche Sicherungen bietet das neue System, dass der Wirtschaftsapparat nicht wieder zu einem Beherrschungsmittel über die Arbeiterklasse auswächst.

Der Fortschritt in der Problemstellung

Bevor wir uns mit den „Grundzügen“ selbst befassen, sind wir genötigt, eine kleine Richtigstellung zu machen. Genosse Drewes sagt sie seelenruhig: „Die sozialistischen Ideen vermochten es noch nicht, der Geldwirtschaft das Prinzip der geldlosen Wirtschaft entgegenzusetzen.“ Wir nehmen ohne Weiteres an, dass Drewes dieser Meinung ist, aber wir müssen zugleich sagen, dass er dann nicht auf dem Laufenden ist mit dem, was auf diesem Gebiete schon existiert. Seit Jahren beschäftigt man sich schon mit der Frage der „geldlosen Wirtschaft“. Auch hier ein Ringen um vorzudringen, und es ist jetzt schon deutlich eine Entwicklungslinie in der Theorie der „geldlosen Wirtschaft“ zu sehen.

Obwohl Drewes gar keine ökonomischen Bewegungsgesetze gibt, will er die theoretische Begründung der „geldlosen Wirtschaft“ auf seinen Namen setzen. Das trifft aber keineswegs zu. Bekanntlich ist eine der großen Lehren, welche Marx aus der Pariser Kommune von 1871 gezogen hat, diese, dass die Regelung der Wirtschaft erfolgen muss „nicht durch den Staat, sondern durch eine Verbindung der freien Assoziation der sozialistischen Gesellschaft“ (H. Cunow, Marx’sche Geschichtstheorie, Bd. 1, S. 309).

Diese „Assoziation von freien und gleichen Produzenten“ ist eine „geldlose Wirtschaft“ und arbeitet nach der Arbeitszeitrechnung. Es muss an jedem Produkt berechnet werden, wie viel Arbeitsstunden seine Herstellung erfordert hat (F. Engels im Anti-Dühring (4)), während sein Produzent einen Schein erhält, worauf er den gesellschaftlichen Konsumvorräten so viel Produkt entziehen kann, als mit seiner Arbeitszeit übereinstimmt. (Es finden Abzüge statt für Akkumulation und allgemein gesellschaftliche Einrichtung. Siehe Randglossen zum Erfurter Programm (5)). Marx fordert hier ein direktes Verhältnis von Produzenten zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt. Das ökonomische Bewegungsgesetz der Bedarfswirtschaft liegt bei Marx also in der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit der Produkte.

Die Grundgedanken von Marx und Engels werden nicht weiter ausgebaut. Der Mechanismus der Konzentration des Kapitals und die Zentralisation der Wirtschaft werden in den Vordergrund geschoben, und dabei stellten sich die Bewegungsgesetze für eine Bedarfswirtschaft als ziemlich überflüssig heraus. Nach der Expropriation der Expropriateure organisieren die Arbeiter die Wirtschaft. Die Betriebe greifen ineinander und jeder Betrieb ist ein Glied des großen Ganzen. Die ganze Wirtschaft ist schließlich aufzufassen als ein Riesenbetrieb, in welchem der Produktenstrom sich bewegt, und damit fällt das Geld „von selbst“ weg. Auch Drewes behilft sich noch mit dieser Auffassung (Proletarischer Zeitgeist, No. 27). Hilferding sagt von einer derartigen Wirtschaft im Finanzkapital, S. 314: „Die Zirkulation des Geldes ist unnötig geworden, der rastlose Umlauf des Geldes hat sein Ziel erreicht, die geregelte Gesellschaft und das perpetuum mobile der Zirkulation findet seine Ruh.“ (6).

Dass das Geld in einer Gesellschaft, wo die Interessengegensätze der Produzenten aufgehoben sind, keinen Sinn hat, brauchte uns also von Drewes nicht nachgewiesen zu werden, weil andere das vor ihm schon viel besser getan haben. Das Unverständliche liegt aber darin, dass man meinte, mit dem Wegfall des Geldes zu einer Naturalwirtschaft übergehen zu können. Angeblich handelte es sich nur um ein „Nehmen und Geben von Rohstoffen und Gütern im Sinne von Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit“ (Proletarischer Zeitgeist, No. 31), während von einer „Verrechnung“ keine Rede sein kann. Auf diesem Standpunkt steht Drewes jetzt noch. Doch sind diese Gesichtspunkte nicht spezifisch anarchistisch. Der wildgewordene Sozialdemokrat Varga und der zahme Sozialdemokrat Neurath entwickeln dieselbe Theorie. Neurath zeigt in seiner Schrift „Wirtschaftsplan und Naturalrechnung“ dem Volke, wie die Bedarfswirtschaft ohne Geld und ohne jede Recheneinheit auskommt, während der französische Anarchist Sébastien. Faure (7) uns in seinem Buch Das universelle Glück das gleiche Bild malt.

Die europäische Bourgeoisie wurde nach 1917 ein bisschen unruhig, weil die Wellen der Revolution über ganz Europa zu schlagen drohten. Die bürgerlichen Ökonomen setzten darum mit ihrer Kritik auf den Kommunismus ein. Max Weber und Mises (8) voran, griffen sie die einzige Theorie des Kommunismus, die „Naturalwirtschaft“, an und zeigten, wie ohne Recheneinheit, ohne einen Generalnenner, auf welche alle Arbeitserzeugnisse zurückgeführt werden können, jede planmäßige Wirtschaft unmöglich ist. Von hier aus setzten sie ihren Angriff weiter fort. Die „Naturalwirtschaftler“ waren tatsächlich erledigt, und nun musste noch Marx, der die Arbeitsstunde als Recheneinheit in der Bedarfswirtschaft stellt, geschlagen werden. Auch dieses gelang ihnen scheinbar mithilfe ihrer dummen Auffassung der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit. Der Kommunismus war geschlagen. Unzweideutig war nachgewiesen, dass planmäßige Wirtschaft sich nicht ohne Recheneinheit durchführen lässt und dass die Arbeitsstunde als Recheneinheit ihrer Ansicht nach nicht brauchbar sei. Das Geld musste also beibehalten bleiben; die geldlose Wirtschaft war vernichtet!

Die Kritik hat getroffen; große Verwirrung im marxistischen Lager. Kautsky meint, dass das Geld als Wertmaßstab für die Buchhaltung und Berechnung der Austauschbeziehungen in einer materialistischen Gesellschaft erhalten bleiben muss. (Die proletarische Revolution und ihr Programm (9), S. 323). Aber Otto Leichter macht in seiner Schrift Die Wirtschaftsrechnung in der sozialistischen Gesellschaft (Wien 1923) einen guten Sprung vorwärts, indem er nachweist, dass die gesellschaftliche Produktionszeit festgestellt werden kann. Doch löst er das Problem noch nicht, weil er sich durch den für soziale Einrichtungen und Erweiterung der Produktionsbasis (Akkumulation) benötigten Arbeitsaufwand die Suppe verderben lässt. Dadurch kann er schließlich die Kategorie der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit nicht durchführen und landet damit unwiderruflich beim Staatskapitalismus.

Die Entwicklung der Theorie der Bedarfswirtschaft zeigt also keine gerade Linie. Von der Recheneinheit bei Marx und Engels biegt sie ab zur „Naturalwirtschaft“, um schließlich ungefähr 1922 wieder zur Recheneinheit überzugehen. Die Gruppe der Internationalen Kommunisten in Holland hat nun die Marx’schen Bewegungsgesetze der Bedarfswirtschaft auf ihr Programm gesetzt, sie hat in der Theorie die Kategorie der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit restlos durchgeführt und sieht in der Durchführung eines exakten Verhältnisses vom Produzenten zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt die Übergangsform zum „Geben nach Kräften und Nehmen nach Bedürfnissen“. Die bürgerlichen Ökonomen haben durch ihre Kritik den Kommunismus ein gutes Stück vorwärtsgebracht. Sie haben die Theorie über den toten Punkt hinweggeholfen, sie haben Geister wachgerufen, die sich nicht mehr beschwören lassen. Ganz zielbewusst streben wir jetzt dem Kommunismus zu.

Fragen wir uns nun, welchen Platz die Ausführungen Drewes in der Entwicklung der Gedanken über die sozialistische Gesellschaft einnimmt, so fallen sie in das Stadium der Vorkriegszeit. Er ist „Naturalwirtschaftler“, das heißt, er lässt die Bedarfswirtschaft ohne Recheneinheiten, ohne Geld auskommen. Das ist allerdings sein gutes Recht, aber dann hätte er Marx, Kautsky, Max Weber, Mises oder Block angreifen müssen, um zu zeigen, dass ein Generalnenner nicht notwendig ist. Doch bricht auch bei Drewes ein unbestimmtes Gefühl durch, dass er so nicht auskommt. Es heißt: „Es kann nicht der Zweck der sozialistischen Propaganda sein, heute schon Grundsätze für ein tadelloses Funktionieren des Wirtschaftsverkehrs der Zukunft aufzustellen, die die Menschen später schon von selbst regeln werden.“

Einverstanden! Aber darum handelt es sich nicht. Wir brauchen keine „Schilderung“ eines tadellosen Funktionierens, aber notwendig vor allem ist, die ökonomischen Bewegungsgesetze der kommunistischen Bedarfswirtschaft klarzulegen. Und es ist Zweck der sozialistischen Propaganda, diese in den Mittelpunkt der Tätigkeit zu setzen: Es ist das ganz konkrete Ziel, worauf wir hinsteuern. Weil diese Bewegungsgesetze bei Drewes von selbst gefunden werden, haben sie keinen Einfluss auf seine Betrachtungen, und er operiert als Naturalwirtschaftler ohne Recheneinheit. Damit macht er es sich bequem und „philosophiert“ Seite nach Seite, kämpft gegen Windmühlenflügel… um schließlich das Gegenteil zu liefern von dem, wovon er der Begründer sein wollte. Er will als Anarchist die Grundzüge einer anarchistischen Wirtschaft „des Gebens nach Kräften und Nehmen nach Bedürfnissen“ aufzeigen, aber landet… beim Staatskapitalismus.

„Geben nach Fähigkeiten und nehmen nach Bedürfnissen“

Unter Sozialismus versteht Drewes „eine Wirtschaftsweise, in der der mit allen Mitmenschen durch Art und Gattungswesen verbundene Einzelmensch im Mittelpunkt des Arbeitsganges steht“, während der Inbegriff sozialistischer Produktion und Konsumtion ausgedrückt wird: „Jeder nach seinen Fähigkeiten und jeder nach seinen Bedürfnissen.“ Diese Formulierung der „geldlosen Bedarfswirtschaft“ ist von Interesse wegen ihrer Anmut. Es kommt hier nicht darauf an, dass die Menschen durch Art und Gattungsgesetze verbunden sind, sondern hier soll es sich handeln um die ökonomischen Gesetze, die die Wirtschaftsweise charakterisieren. Wir müssen wissen, welche ökonomische Bewegungsgesetze von der sozialen Revolution durchzuführen sind, nach Drewes Meinung soll der einzelne Mensch im Mittelpunkt des Arbeitsgangs stehen. Wie man aber auch sucht, man stößt immer nur auf die alte Formel von „[Geben] (10) nach Fähigkeiten usw.“, so wie wir das schon vor einem halben Jahrhundert lernten.

Obwohl nun Drewes keine „Schilderung“ von den Bewegungsgesetzen dieses Systems gibt, sind diese doch deutlich angegeben. Viel besser aber wird die Güterbewegung in so einem System von dem französischen Anarchisten Sébastien Faure beschrieben. Faure stellt in seinem Buch Das universelle Glück die planmäßige, geldlose Wirtschaft an die Stelle der zügellosen Profitwirtschaft. Die ganze Produktion muss auf die Bedürfnisse zugeschnitten sein, und er sagt darum auch auf S. 215 der holländischen Übersetzung seines Buches: „Man muss also vor allem das Gesamte des Bedarfs und die Quantität dieses Bedürfnisses feststellen.“ Die Kommune soll dann die Bedürfnisse nach der Einwohnerzahl der „Hauptadministration des Wirtschaftsgebietes“ angeben, wodurch die Beamten dort einen Überblick über den Gesamtbedarf der Wirtschaft des Wirtschaftsgebietes bekommen. Dann gibt jede Kommune eine zweite Liste mit der Angabe, wieviel sie produzieren kann, somit „die Hauptadministration“ nun die Produktivkräfte des Wirtschaftsbezirks kennt. Die Lösung der Sache ist klar: Die oberen Beamten sollen nun feststellen, welcher Teil der Produktion auf jede Kommune entfällt und „welchen Teil der Produktion sie für sich selbst behalten“ (S. 216).

Dieser Verlauf ist genau derselbe, wie die Staatskommunisten es sich vorstellen. Unter die Massen, oben die Beamten, welche Leitung und Verwaltung von Produktion und Verteilung in den Händen haben. Damit ist die Gesellschaft nicht gegründet in ökonomischen Realitäten, sondern in den guten oder schlechten Willen oder Fähigkeiten bestimmter Personen, was Faure denn auch ohne weiteres zugibt. Um jeden Zweifel in Bezug auf zentrales Verfügungsrecht wegzunehmen, fügt er noch hinzu: „Die Hauptadministration weiß, wie groß die Gesamtproduktion und der Gesamtbedarf ist und muss darum jedem Bezirkskomitee mitteilen, über wieviel Produkte es verfügen kann und wieviel Produktionsmittel es beschaffen muss.“ (S. 218).

So sieht das „Geben nach Kräften usw.“, welches nicht in der Arbeitszeitrechnung begründet ist, in der Theorie aus. In der Praxis ist es völlig unsinnig, weil das Leben sich nicht in den Formeln der Statistik modeln lässt. Aber, um noch zu zeigen, wie dies alles kein besonderer freier Kommunismus ist, stellen wir den sozialdemokratischen „Kommunismus“ von R. Hilferding daneben. Wir werden sehen, dass er nahezu wörtlich mit dem „freien Kommunismus“ übereinstimmt. Hilferding sagt auf Seite 1 im „Finanzkapital“: „Wie, wo, wieviel, mit welchen Mittel aus den vorhandenen natürlichen und künstlichen Produktionsbedingungen neue Produkte hergestellt werden… entscheiden die kommunalen, Landes- oder Nationalkommissäre der sozialistischen Gesellschaft, die mit allen Mitteln einer organisierten Produktions- und Konsultationsstatistik die gesellschaftlichen Erfordernissen erfassend, in bewusster Vor-aussicht das ganze Wirtschaftsleben nach den Bedürfnissen ihrer in ihnen bewusst geleiteten Gemeinschaften gestalten.“

Wir stellen darum fest, dass auch in dem „freien Kommunismus“ das Verfügungsrecht über den Wirtschaftsapparat denen zugewiesen wird, die mit den Kniffen der Statistik vertraut sind. Aber wir sollen doch so viel von der Politischen Ökonomie gelernt haben, dass es als ein bekannter Satz gelten möge, dass wer das Verfügungsrecht über den Wirtschaftsapparat in Händen hat, in Wirklichkeit über die Gewalt in der Gesellschaft verfügt. Die „Hauptadministration“ muss sich die Mittel beschaffen, sich durchzusetzen, das heißt, sie muss einen Staat schaffen, welcher zu gleicher Zeit die Leitung und Beherrschung der Wirtschaft hat. Das ist eine der Bewegungsgesetze eines derartigen Systems von „Nehmen nach Bedürfnissen“, ob das so gemeint wird oder nicht. Auch macht es nichts aus, ob das Gericht mit der Sauce von „freien Vereinbarungen“ oder mit „beseelendem“ Prinzip serviert wird, das stört die politische und ökonomische Gesetzmäßigkeit absolut nicht.

Nun wird Genosse Drewes allerdings sagen, dass die Faure’schen Ausführungen nicht auf seine Rechnung gestellt werden können. Dazu erwidern wir, dass eine andere Sachlage in einer Wirtschaft ohne Verrechnung sich nicht einmal konstruieren lässt. Ist Genosse Drewes einer anderen Meinung, dann muss er den Schleier von seinen Bewegungsgesetzen lüften.

Wir werden aber nachweisen, dass das Drewes’sche System sich völlig deckt mit dem Faure‘schen, das heißt mit dem staatskommunistischen, oder was dasselbe ist: mit dem staatskapitalistischen.

Wie sieht Drewes die Produktion? Es fließt ein Strom von Produkten von Betrieb zu Betrieb: Was von dem einen als Endprodukt abgeliefert wird, geht bei dem anderen als Rohstoff ein. Davon sagt nun Drewes: „Nur besteht diese Flüssigkeit, wie bemerkt, nicht in dem bisherigen Austauschsinne, für ‚Leistungen‘ notwendig ‚Gegenleistungen‘ zu fordern, wie wenn eine bestimmte Menge des einen Gutes eine bestimmte Menge des anderen Gutes zum Austausch zwinge.“

Dieser Satz zeigt die zentrale Verfügungsgewalt in aller Klarheit. Es ist derselbe Vorgang, wie ihn Varga in seiner Schrift: „Die wirtschaftspolitischen Probleme der politischen Diktatur“ verherrlicht. In der ungarischen Revolution war für eine Leistung auch keine Gegenleistung notwendig; ebenso wie Drewes sah der Wirtschaftsrat nur „ein Nehmen und Geben von Rohstoffen und Güter im Sinne von Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit“, mit der Folge, dass bei den Konzentrationsbestrebungen des Wirtschaftsrates verschiedene Betriebe von der Rohstoffversorgung ausgeschlossen wurden – gegen den Willen der Arbeiter – und der Betrieb stillgelegt werden musste. Bei derartigen „Grundsätzen“ haben die Arbeiter nichts mehr zu melden, und sie sind den Wirtschaftsführern und Statistikern ausgeliefert. Die Arbeiter haben nur Pflichten und keine Rechte. Und wir haben schon genug von Arbeiterbewegung und Wirtschaftsdemokratie gelernt, dass es nicht angebracht ist, alles in Brüderlichkeitsduselei zu ertränken. Wir verlangen Sicherungen, dass die Arbeiterschaft die Führung und Leitung des Wirtschaftsapparates in den Händen hält. Diese Sicherungen können keine „gesetzlichen“ sein, sondern müssen im Wirtschaftsvorgang selbst liegen.

Ist es also vom Gesichtspunkt der Selbstverwaltung notwendig, den Satz „Leistung“ - „Gegenleistung“ innezuhalten, auch von der Seite der planmäßigen Produktion und gesellschaftlichen Kontrolle ist er notwendig. Die Arbeiterschaft erhält die Betriebe mit Produktionsmitteln und Rohstoffen, worin die Arbeit der Genossen enthalten ist, als gesellschaftliches Gut zur Bewirtschaftung. Das ist die „Leistung“ der Gesellschaft. Und die Arbeiterschaft hat dem Verbrauch dieses Gutes in ihrer Gegenleistung Rechnung zu tragen, damit eine regelmäßige Reproduktion stattfinden kann, während nun die Kontrolle der gesellschaftlichen Güter an die Gesellschaft fallen kann.

Die Verteilung der Konsumgüter

Und nun die Frage der Verteilung der Konsumgüter. Drewes fordert eine „schrankenlose Befriedigung der Bedürfnisse aller Menschen im Rahmen der jeweils vorhandenen Gütermenge“. Man soll uns zugutehalten, wenn wir das als völligen Blödsinn bezeichnen. Es ist nur Phraseologie… und noch nicht einmal eine reizende! Eine schrankenlose Befriedigung ist doch nur möglich bei einem Überfluss von Produkten. Ist dieser nicht da, so müssen irgendwelche Verteilungsgrundsätze eingehalten werden, und damit kann von einer schrankenlosen Befriedigung keine Rede sein. Wir werden nun nachweisen:

1. Dass von einem „Nehmen nach Bedürfnissen“ im ersten Stadium der sozialen Revolution keine Rede sein kann.

2. Dass die Arbeiterklasse dieses System in diesem Stadium entschieden ablehnen muss, weil sonst die Verfügungsgewalt über den Produktionsapparat und die Güterverteilung völlig verlorengeht; dass damit der Wirtschaftsapparat wieder zu einem Beherrschungsmittel über die Arbeiterklasse auswächst.

Der erste Punkt braucht kaum einer Erwähnung. Gerade weil wir jetzt mit dem Profitsystem wirtschaften, ist der Produktionsapparat gar nicht auf die Bedürfnisse der Massen eingestellt. Damit erscheint als eine der größten Aufgaben der sozialen Revolution der völlige Umbau des Produktionsapparates, wodurch der Teil der Produktion, der ausschließlich für die Bedürfnisse der Bourgeoisie arbeitet, und der Teil, der seine Kräfte in der Reklameindustrie vergeudet, für die Bedürfnisse der Massen nutzbar gemacht werden kann. Möge die soziale Revolution auch viele Kräfte freisetzen, der Umbau fordert so viel an Rohstoffen, Baumaterial, Maschinen usw., dass diese Kräfte sich nicht an der Konsumgüterbeschaffung beteiligen können, sondern auf das Konto der Mehrarbeit der kommunistischen Gesellschaft fallen. Die soziale Revolution muss daher ganz bestimmt mit einer „Güterknappheit“ rechnen und an einem „Nehmen nach Bedürfnissen“ ist damit nicht zu denken: Die Verteilung wird nach gewissen Grundsätzen geschehen müssen.

Kommen wir jetzt zum zweiten Punkt, dass die Arbeiterklasse diese Formel entschieden ablehnen muss. Von dem Gesichtspunkt der Produktion aus haben wir schon gesehen, wie das „Nehmen nach Bedürfnissen“ sich umwandelt in das Erhalten, was die Statistiker uns „zuweisen“, warum wir als wichtige Forderung für die Bewegungsgesetze der Bedarfswirtschaft den Satz „Leistung-Gegenleistung“ stellen. Mit der Konsumgüterverteilung ist es nun gerade so gestellt. Weil das „Nehmen nach Bedürfnissen“ vorläufig wegen Konsumgütermangel ausgeschlossen ist, wird auch Drewes recht oder schlecht Verteilungsgrundsätze aufstellen müssen. Auch die russische Revolution war in dieser Lage, und sie führte eine Klassenrationalisierung durch in dem Sinne, dass die Arbeitermacht bevorzugt wurde. Das sieht allerdings schön aus… und doch offenbart sich hier die Faulheit des ganzen Systems. Es soll doch nichts anderes heißen, als dass die Konsumgüterverteilung eine Sache der Politik ist! Die Verteilung wird nicht von dem sachlichen Gang der Produktion bestimmt, sondern durch Personen, und sie ist damit ein umstrittener Punkt für die Politik. Auch bei Drewes gibt es eine „persönliche Zuweisung“ und damit trägt sein „System“ auch hier die Merkmale des Staatskapitalismus.

Worum es sich bei der Aufhebung der Ausbeutung handelt, das ist die gleichmäßige Verteilung des Gesamtprodukts, gleich ob es viel oder wenig ist. Das ist zwar keine „gerechte Verteilung“, aber die einzige in Frage kommende, solange das „Nehmen nach Bedürfnissen“ noch nicht durchgeführt werden kann. Als revolutionäre Klasse verlangen wir aber nicht nur die direkte, völlige Beseitigung des „Arbeitslohnes“, sondern wir fordern auch die Sicherstellung, dass die zum Konsum geschaffenen Vorräte uns zufließen. Diese Sicherstellung kann uns wiederum nicht gegeben werden von irgendwelcher staatlichen oder wirtschaftlichen Instanz oder der zentralen Verteilungsstelle, welche das „Nehmen nach Bedürfnissen“ besorgt, diese Sicherstellung kann uns nur gegeben werden in dem sachlichen Produktions- und Verteilungsvorgang selbst. Die Dinge müssen sich selbst verteilen. Wenn wir durch unsere Arbeit 40-Arbeitsstunden-Produkte dem gesellschaftlichen Gesamtprodukt zugefügt haben, so verlangen wir als Konsument 40-Arbeitsstunden-Konsum aus den gesellschaftlichen Vorräten (Akkumulation bleibe außer Betracht). Nach 40-stündiger Arbeit verlangen wir daher dafür eine Bescheinigung, oder wie das gewöhnlich genannt wird: Arbeitsgeld (Was aber mit Geld nichts zu schaffen hat!). Und hier springt sofort ins Auge, dass es damit notwendig ist, an allen Produkten auszudrücken, wieviel gesellschaftliche Arbeitszeit sie enthalten. Von Verteilungsgrundsätzen, welche Sache der Politik sein können, ist dann keine Rede mehr: Die Dinge verteilen sich selbst.

Als Aufgabe der sozialen Revolution erscheint daher die restlose Durchführung der Kategorie der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit bei einem exakten Verhältnis vom Produzenten zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt.

Zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt

Genosse Drewes will von einem exakten Verhältnis nichts wissen. Er sagt: „Menschen treten zusammen, vereinbaren sich, arbeiten einfach und damit basta“; brauchen weder einen „Oberhirten“, der ihre Leistungen täglich nachprüft, noch einen „Finanzier“, der ihnen die Gegenleistung in „Schwundgeld“, Arbeitsbons oder sonst was gibt. Damit ist er aber auf die „persönliche Zuweisung“ irgendeiner Instanz angewiesen, ob Drewes dies wahrhaben will oder nicht. Und so läuft auch hier sein „System“ auf Staatskapitalismus hinaus.

Uns bleibt nur noch übrig, die Durchführung der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit bei einfacher und erweiterter Reproduktion zu zeigen, als auch, wie die „allgemein gesellschaftliche Arbeit“ als Unterricht, Krankenpflege, überhaupt alle Einrichtungen, welche „unentgeltlich“ arbeiten, doch nicht die grundlegende Kategorie der Bedarfswirtschaft durchbrechen können. Aber das geht über den Rahmen einer Zeitung hinaus, und daher müssen wir das bis auf bessere Gelegenheit hinausschieben.


Redaktionelle Anmerkungen

1. Proletarischer Zeitgeist (1922-1933).

2. Heinrich Drewes, Zwickau, a.a.u.-e, sonst unbekannt.

3. Scheinwissenschaft.

4. m.e.w., Bd. 20, S. 280ff.

5. m.e.w., Bd. 19, S. 19.

6. Das Finanzkapital .

7. Sébastien Faure  (1858-1942) war ein französischer Anarchist und Reformpädagoge.


Compiled by Vico, 21 August 2021


























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