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Antonie Pannekoek Archives

Rätekorrespondenz

Quelle: a.a.a.p.


Rätekorrespondenz

Internationale Rätekorrespondenz 1934-1937 / Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland). – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek, Dezember 2020, 504 S., € 13,16, ISBN 979-8551636052


Probleme der neuen Arbeiterbewegung


Quelle:  Probleme der neuen Arbeiterbewegung. – In: Internationale Rätekorrespondenz : Theoretisches und Diskussionsorgan für die Rätebewegung.  – Ausg[abe]. der Gruppe Int[ernationaler]. Kommunisten, Holland. – 1936, Nr. 15 (März); Quelle der Transkription: Rätekommunismus , 23. November 2020, Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


I.

Im August 1935 brachte die Council Correspondenz die Übersetzung einer Arbeit unserer holländischen Genossen, die sich mit dem Werden einer neuen Arbeiterbewegung befasste und die als Ausgangspunkt einer Diskussion zur Re-orientierung der Arbeiterschaft dienen sollte. Die Septemberausgabe der Council Correspondenz veröffentlichte eine Reihe von Thesen, die von einer in Brüssel abgehaltenen internationalen Konferenz räte-kommunistischer Gruppen adoptiert worden waren. Die Oktoberausgabe der Council Correspondenz brachte kritische Bemerkungen zu dem holländischen Aufsatz über das „Werden einer neuen Arbeiterbewegung“ von n.n. [Henk Canne Meijer], einem Mitglied einer uns nahestehenden rätekommunistischen Organisation (1). Endlich veröffentlichten wir in der Council Correspondenz eine Antwort der holländischen Genossen auf die Brüsseler Thesen. Eine Reihe von Schriften gingen uns zu, die sich entweder mit der Brüsseler Konferenz oder mit n.n.‘s Ausführungen und auch mit dem Artikel der holländischen Gruppe befassten. Diese Korrespondenz teilte sich in die verschiedenen Auffassungen, die bereits in den früheren Diskussionsbeiträgen der Council Correspondenz zum Ausdruck gekommen waren, so dass von ihrer Veröffentlichung abgesehen werden konnte. Die „Groups of Council Communists of America“ brachten schon in der letzten Ausgabe der Council Correspondenz zum Ausdruck, dass die bisherige Diskussion sie nicht befriedigen konnte und bringen im Folgenden ihre eigenen Auffassungen, allerdings in bedauernswert zusammengefasster Form (2). Damit ist die Diskussion nicht abgeschlossen. In weiteren Heften werden wir die hier nur angeschnittenen Fragen in mehr detaillierter und auch bestimmterer Form erneut aufnehmen.

II.

Die Arbeit der holländischen Gruppe über das „Werden einer neuen Arbeiterbewegung“ (Rätekorrespondenz, Nr. 8-9) beschränkt sich auf eine Zusammenfassung der allgemeinen wesentlichen Prinzipien der rätekommunistischen Bewegung. Sieht man in ihr nicht mehr als diese allgemein gehaltene, in großen Zügen verfasste Prinzipienerklärung, so kann man ihr wohl mit wenig Vorbehalt zustimmen. Doch ist man dann zugleich gezwungen, die allgemeinen Sätze in brauchbare konkrete Richtlinien auszuarbeiten oder umzuwandeln, wobei die allgemeinen Prinzipien mehr oder weniger wichtige Modifikation erfahren müssen, um nicht als utopische Abstraktion jeden Wert zu verlieren.

Auch wir sind der Überzeugung, dass die alte Arbeiterbewegung objektiv überholt ist, so sehr ihre Ideologien die Köpfe vieler Arbeiter auch noch belasten. Da die Realisierung ihrer Ideen ausgeschlossen ist, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch das subjektive Ende der alten Arbeiterbewegung eingetreten sein wird. Die Erledigung der alten Arbeiterbewegung als Tradition und als Donquichotterie hängt von so vielen verschiedenen und doch zusammenhängenden Momenten ab, dass sich dafür kein Zeitpunkt festsetzen lässt. Trost kann uns hier nur die Gewissheit der objektiven Unhaltbarkeit und der Unmöglichkeit objektiven Rückschritts und ebenfalls das Tempo des kapitalistischen Verfalls sein, das ja dem kapitalistischen Aufstieg um nichts nachsteht. Das durch die bisherige Entwicklung erreichte Momentum der Kapitalbewegung schließt lange relativ statische Perioden für die weitere Entwicklung aus.

Wir teilen weiterhin die Auffassung der Holländer über die Gründe der heutigen Ohnmacht der Arbeiterbewegung und über ihren Verfall aufgrund dieser Ohnmacht. Die alte Arbeiterbewegung ist der Macht des Kapitals nicht gewachsen, ja mehr: Sie selbst wurde Teil und Ausdruck dieser kapitalistischen Macht. Der kapitalistischen Klasse muss die Klassenfront des Proletariats entgegengestellt werden. Die bisherige organisierte Arbeiterbewegung war weder an der Schaffung einer wirklichen Klassenfront interessiert, noch wäre sie, beim Vorhandensein eines solchen Interesses, dazu imstande gewesen. Sie verfocht stets Gruppeninteressen und war nur solchen Auseinandersetzungen organisatorisch angepasst. Mit der Kapitalkonzentration im Niedergang des Kapitalismus war das Ende der alten Arbeiterbewegung unabwendbar verbunden. Der Klassenkampf gegen das kapitalistische System in seiner radikalsten Form wurde damit zur einzigen objektiven Möglichkeit. Diese reformistische Betätigung wurde selbst als Phrase unmöglich. War auch der Nährboden des Reformismus – der kapitalistische Aufstieg – verdorrt, spiegelte sich im kapitalistischen Niedergang nur das eigene, unabwendbare Ende, so ließ sich's doch eine Zeitlang von seiner Propaganda noch leben. Die Möglichkeit der Organisation ohne die Möglichkeit des Reformismus nährte auch den Neo-Reformismus der Nachkriegszeit, bis der Faschismus auch das Bestehende der unfähigsten Arbeiterorganisation als lästig und gefährlich ansah und diese beseitigte. Der indirekten Unterordnung der Arbeiter unter die Interessen des Kapitals durch den Reformismus folgte die direkte Unterordnung durch den Faschismus. So kann man mit den Holländern ohne Zweifel sagen, dass die bisherige organisierte Arbeiterbewegung geschichtlich ihr Ende gefunden hat. Sie kann nicht neu geschaffen werden. Womit wir uns beschäftigen, in Verbindung mit den kommenden revolutionären Auseinandersetzungen, ist die Bewegung der Arbeiter. Diese Bewegung der Arbeiter, die bereits die Klassenfront darstellt, wird durch die kapitalistischen Notwendigkeiten selbst geschaffen.

Um die Entwicklung des Kassenbewusstseins klar zu machen, wählten die holländischen Genossen die Formulierung der Klasse „an sich“ und „für sich“. Marx und andere arbeiteten mit diesen Begriffen. Solche methodischen, isolierenden Formeln zum besseren Verständnis vielseitiger Probleme heben die Vielseitigkeit der Probleme nicht auf. So sagen denn auch die Holländer: „Ein vollkommener, unüberbrückbarer Gegensatz zwischen der Klasse ‚an sich‘ und der Klasse ‚für sich‘ besteht natürlich nicht.“ In Wirklichkeit gibt es jedoch nicht einmal einen diesbezüglichen unvollkommenen überbrückbaren Gegensatz. Die Klasse ist zu jeder Zeit „an sich“ und „für sich“ zugleich, sie äußert sich nur verschieden in verschiedenen Situationen und auf den verschiedenen Stufen ihrer Entwicklung. Ihre Möglichkeiten und Notwendigkeiten wechseln und damit ihre Aufgaben und ihre Einstellungen. Vom Standpunkt des als Ideologie verstandenen proletarischen Bewusstseins existiert die Klasse nur „an sich“, wenn sie auf die Vertretung ihrer spezifischen Klasseninteressen verzichtet und apathisch dem Kapital folgt. Die Indifferenz der Arbeiter ihren wirklichen Notwendigkeiten gegenüber hebt sie wohl nicht als Klasse auf, aber sie hat doch keinen offensichtlich revolutionären Charakter, sie existiert scheinbar noch nicht „für sich“, sondern für das Kapital. Für die Holländer ist sie dann „wie jedes tote Ding passiv“. „Als lebendes, aktives Wesen“ besteht sie für die holländische Gruppe erst dann, wenn sie „in Bewegung und zum Bewusstsein ihrer selbst kommt“. Mit Recht zeigt n.n. in seiner Kritik dieses Standpunkts (Rätekorrespondenz, Nr. 10-11) auf: „dass es falsch sei, die Arbeiter als totes Ding zu bezeichnen. Wie immer, so auch heute steht die Arbeiterklasse durchaus aktiv im gesellschaftlichen Geschehen. […] Diese Aktivität bestimmt durchaus ein Stück der kapitalistischen Wirklichkeit, wenn es auch konservativ wirkt. Ein totes Ding ist eine revolutionär passive Klasse nicht, nur ist ihre Aktivität erstens relativ schwach und läuft zweitens in einer Richtung, die nicht bewusst zum kommunistischen Kampf führt. Aber unbewusst trägt selbst eine reformistische Interessenvertretung dazu bei, die Dinge gesellschaftlich weiterzutreiben.“ Fasst man das Klassenbewusstsein nicht nur als Ideologie auf, sondern mehr noch als die aus den Notwendigkeiten heraus geborene Tat-Initiative der Arbeiter, so existiert die Klasse „an sich“ und „für sich“ stets zugleich. Nur weil „aufgeklärte“ Arbeiter den indifferenten Massen gegenüberstanden, vermochte ja die alte Arbeiterbewegung den bewussten Teil mit der ganzen Klasse zu identifizieren. Aber diese Unterschiede der Ideologien bedeutet nicht viel im weiteren Sinne der Klassenbewegung, sondern ist von praktischer Wichtigkeit nur im engeren Sinne der Beziehung der Arbeiterorganisation zum Klassenkampf. Die Revolutionäre wie die Indifferenten arbeiteten für das Kapital, die einen willig, die anderen unwillig. Die einen politisierten gegen, die anderen mit dem Kapital. Eine Gruppe wartete auf Lohnerhöhung, die andere streikte dafür. Beides war nur möglich, weil Lohnerhöhungen möglich und notwendig waren und den Interessen des Kapitalismus entsprachen, so sehr sich der einzelne Kapitalist dem auch widersetzte. Der Reformismus, selbst als er aggressiv war und die erreichte Stufe des proletarischen Klassenkampfes bezeichnete [?], hatte sich innerhalb eines Kapitalismus zu bewegen, dessen Ende sich nicht absehen ließ; außer in der Theorie, die erst zur Wirklichkeit werden muss, um die Massen zu erfassen. Die indifferenten Arbeiter versuchten nur auf einem anderen, billigeren Wege – eben durch ihre Indifferenz – ihre Vorteile und Interessen wahrzunehmen, da sie noch weniger über das mächtige kapitalistische System hinaus sehen konnten. Die proletarische Klasse ist selbst ein Produkt des Kapitals, sie bildet sich und wächst mit dem Wachstum des Kapitals; sie ist schwach und wird stärker; im Auf und Ab der kapitalistischen Wirtschaft wird sie zur Aktivität gezwungen und passiv gemacht, sie handelt revolutionär und reaktionär aus Notwendigkeit. Aber in allen Situationen ist sie stets „an sich“ da und versucht „für sich“ zu wirken. Man täte besser, statt diese begrenzten Formeln zu benutzen, zu untersuchen, aus welchen Gründen die Arbeiterklasse in den verschiedenen Situation einmal revolutionär auftrat und das andere mal völlig passiv blieb. Aber auch die Passivität ist eine Form der Aktion und erledigt die Formulierung der Holländer, die sich auf die wenig besagende, ideologische Einstellung der Arbeiter zu beschränken hat, um sich überhaupt zu rechtfertigen. In Wirklichkeit ist die Klasse niemals „tot“, sondern lebt oft nur von ihrer Inaktivität. Von dem isolierten Standpunkt der ideologischen Reife aus kann man mit Formeln arbeiten, aber dies genügt nicht zur Charakterisierung der gesamten Klassenbewegung.

III.

Mit den anderen Abschnitten des Artikels über das Werden einer neuen Arbeiterbewegung können wir uns in im Großen und Ganzen einverstanden erklären und wir ersparen uns die Wiederholung der dort hervorgehobenen Momente, die unsere eigenen Ansichten in sich einschließen. Mit den Holländern sind wir uns einig, dass die „Bewegung der Arbeiter in den Arbeiterräten die Form annimmt, wodurch sie imstande ist, die gesellschaftlichen Kräfte zu beherrschen.“ Und auch uns ist „das Wachsen der Massenbewegung als Rätebewegung der Maßstab, mit dem die bewusste Anwendung der Klassenkräfte gemessen werden kann.“ Die Auffassung, dass die Arbeiterräte nur in der Revolution selbst erstehen, weisen auch wir zurück. Bei jeder Bewegung, die aus der Arbeiterklasse hervorgeht, muss die Herausbildung von Arbeiterräten zum Kernpunkt der Bewegung werden. Die Bedeutung einer Massenbewegung besteht nicht so sehr darin, welche materiellen Erfolge sie erreicht hat, sondern ob und in welchem Maße es ihr gelingt, die Klassenkräfte durch ihre Räte anzuwenden.

Die Arbeiterbewegung, die an der Entwicklung der Bewegung der Arbeiter bewusst interessiert ist, und die als neu bezeichnet werden kann, bilden auch für uns jene noch sehr kleine Gruppen, „die das Wesentliche des Befreiungskampfes in der selbständigen Bewegung der Massen sehen“; die nicht die Macht für sich selbst sondern für die Klasse, nicht die Parteimacht, sondern die Rätemacht anstreben. Auch n.n. teilt in seinen kritischen Bemerkungen unsere Auffassung und differenziert sich erst in der Behandlung des Verhältnisses der organisierten Arbeiterbewegung zu den Massenbewegungen. Allerdings nur, wenn die holländischen Argumente als konkrete Analyse der heutigen Situation gelten wollen, was anscheinend nicht der Fall ist, kann sie der Vorwurf n.n.‘s, unkonkret zu sein, treffen. Als weitere Perspektive, die der eingehenderen Behandlung zu entbehren vermag, hat sie Geltung. Für n.n. wurden weiterhin die Auslegungen der Holländer über die „Massenbewegung“ deshalb „undurchsichtig“, weil sie keinen neuen „organisatorischen Apparat“, sondern ein neues „Lebensprinzip“ hervorbringen wollen. Wir halten dieses „Lebensprinzip“ ebenfalls für sehr unangebracht. Man braucht nicht immer nach Ersatz für Dinge zu suchen, die man als überholt erkannt hat. Dinge werden nicht ersetzt, sie verschwinden und neue bilden sich. Wir stimmen mit n.n. überein, dass „jeder Klassenkampf und jede Gesellschaftsbeherrschung ohne zweckentsprechende Organisation unmöglich ist“, und sehen in dem holländischen „Lebensprinzip“ auch nichts weiter als neue organisatorische Formen. Die Räte sind die Organisation der Revolution und die der neuen Gesellschaft nach ihrem Sieg. Sind sie vor der Revolution nur temporär möglich, bilden sie sich und verschwinden sie wieder, haben sie keine Möglichkeit der Entwicklung eines permanenten Apparates, so werden sie nach der Machtübernahme, wie auch im aktuellen Revolutionsprozess zur gesellschaftlichen Organisationsmaschinerie. Unter der kapitalistischen Diktatur – dem Boden der proletarischen Revolution – hat die Arbeiterschaft keine Möglichkeit, sich revolutionäre, permanente Organisationsformen zu schaffen. Während der spontanen Erhebungen bilden sich, da sich nichts anderes bilden lässt, Aktionsausschüsse (Räte), die eben die Organisation eines jeden Kampfes darstellen und deren Schicksal von der Entwicklung dieses Kampfes abhängt. Die Ausdehnung des Kampfes ist zugleich der Ausbau und die Zentralisation der Räteorganisation. Eine Niederlage kann sie zerstören, bis ein neuer Ausbruch sie wiederum hervorbringt. Die unter den Bedingungen der Illegalität notwendigerweise kleinen Arbeitergruppen können diese spontanen Organisationen höchstens beeinflussen, niemals bestimmen oder direkt leiten. Sie haben sich innerhalb der sich bildenden Räte zu betätigen, nicht neben diesen als besondere Organisation. Als Letzteres können sie unter den Bedingungen der Diktatur des Kapitals überhaupt nur existieren, wenn sie so klein sind, dass sie außer Stande sind, zum bestimmenden Moment der Revolution zu werden, sie bilden tatsächlich nur das bewusste Element im zwangsmäßigen Handel der Massen. Auch wenn man das ideologisch bewusste Element der Revolution nicht überschätzt, hat man es zu fördern. Je mehr Arbeiter wissen, was zu tun ist, desto besser für die Revolution; aber niemals wird deren Zahl ausreichend sein, um die Umwälzung selbständig zu leiten. Die Räte bleiben ausschlaggebend. Je klarer diese Räte ihre Aufgabe erkennen, desto radikaler wird die Revolution sich vollziehen. Die bewussten Elemente müssen in den Räten wirken und nicht versuchen, die Räte von außen zu bestimmen.

Was für die Revolution gilt, gilt auch für die Diktatur des Proletariats. Eine besondere Unterdrückungsmaschinerie braucht die Arbeiterschaft so wenig, wie eine besondere politische Organisation neben den Räten. (Die besondere politische Organisation ist letztlich nur ein Ausdruck der Unreife der revolutionären Situation – ein Ausdruck der Unmöglichkeit des Sturzes des Kapitalismus.) Die Räte müssen allein die ökonomischen und politischen Machtmittel in den Händen haben – und sie haben sie ja auch, wenn sie sie nicht einer besonderen Körperschaft freiwillig ausliefern. Die Existenz zweier besonderer Machtzentren kann nur zur Eliminierung der einen von beiden führen. Die Räte organisieren die Diktatur, wie späterhin Produktion und Verteilung. Sie können nicht eine besondere Macht neben sich dulden, denn darin liegt schon ihre kommende Entmachtung eingeschlossen. „Alle macht den Räten“ ist keine leere Phrase, sondern bitterste Notwendigkeit. Jede Abweichung von diesem Prinzip ist bereits der Anstoß zur Entmachtung der Räte und damit zur Erschwerung des kommunistischen Kampfes.

Ob es gelingen wird, – wir sehen ja nur einen Teil der Arbeiterschaft ohne besondere Interessen –, unser Prinzip in seiner reinen Form durchzubringen, ist eine Frage, die das Prinzip selbst nicht verletzen kann. Nicht immer erreicht man, was man anstrebt. Aber weil dem objektiv möglichen Ziele zu viele gegensätzliche Kräfte entgegenstreben, denen es eventuell gelingt, das Ziel abzubiegen, gerade deshalb gilt es konsequent am Maximalprogramm festzuhalten. Wenn die Räte aus der Situation heraus gezwungen sind, besondere, nicht immer mit dem ihnen selbst unklaren Endziel im Einklang stehende Maßnahmen zu ergreifen, um überhaupt zu existieren, oder wenn die Räte der objektiven Situation nicht gerecht werden und in eine Politik zurückfallen, die ihr eigenes Ende herbeiführen muss, so ist das beklagenswert und wird auch uns zur Flexibilität und taktischen Manövern zwingen, die sich heute noch nicht absehen lassen. Jedoch eben weil diese Gefahren gegeben sind, hat man, ehe sie eintreten, so lange wie möglich, nur noch konsequenter das Maximalprogramm zu vertreten und dafür zu kämpfen. Der rückständigen Kräfte gibt es genug, denen braucht man nicht noch zu helfen; je mehr Konzessionen man ihnen macht, desto rückständiger werden sie. Man muss nach einem Worte Liebknechts das „Unmögliche anstreben, um das Mögliche möglich zu machen“. Nur wenn man überhaupt auf das Eingreifen in den realen Kampf verzichtet, weil die Geschichte andere Wege geht, als wir es wünschen, dann hat man sich den Namen Revolutionär verwirkt. Ohne Zweifel genügt nicht, was die Holländer zu diesen Fragen zu sagen hatten: wie die Klasse sich zu behaupten vermag, wie sie sich in Räten den Repressionsapparat schaffen kann, der die Rätediktatur sichert, usw.? Auch wir können an dieser Stelle nicht weiter auf diesen Fragenkomplex eingehen. (Wir werden diese Momente in besonderen Aufsätzen behandeln.) Eins steht jedoch für uns fest, dass die Argumente, die n.n. hervorbringt, nur Verlegenheitslösungen sind, die die Lösung des Problems keinen Schritt weiterbringen. Seine eigene Antwort auf die von ihm aufgeworfenen Fragen ist tatsächlich nur eine Umbenennung alter Dinge, die er zuvor schon als erledigt betrachtet hatte. Denn seine Vorschläge sind nichts als eine neue Namensgebung für die alten Parteiauffassungen, und die sie unterstützende Argumentation muss dann auch ebenfalls auf die alte Argumentation der bisherigen Arbeiterbewegung zurückgreifen. Erneut wird einem klaren kommunistischen Programm entgegengehalten, dass es zwar gut und schön in der Theorie sei, dass jedoch die Praxis zu Verwässerungen zwänge. Erneut muss die Existenz der Mittelschichten, die Rückständigkeit der Bauern usw. herhalten, um die eigene Inkonsequenz zu rechtfertigen, obwohl gerade aufgrund der Rückständigkeit und Feindseligkeit dieser Schichten das Ausmaß revolutionärer Konsequenzen und Eindeutigkeit behauptet werden muss. Man kann diese Gruppen nicht durch eine schlaue Politik übertölpeln, sondern nur durch Machtmittel ihre Aktivität behindern und wenn notwendig bekämpfen. Je mehr Widerstände, desto eindeutiger muss das revolutionäre Programm vertreten werden. Die erste Konzession zwingt zu einer Reihe von Konzessionen; am Ende wird nichts mehr von der Originalabsicht vorhanden sein. Wenn der revolutionären Bewegung, wie es unzweifelhaft der Fall sein wird, Konzessionen aufgezwungen werden, so ist das schlimm genug, aber diese eventuellen Konzessionen schon vorher programmatisch zu verankern, heißt vor dem Versuch radikaler Lösungen zurückzuschrecken und ist ein Rückfall in die alte Führerpolitik, die vorgibt, durch Schlauheit die Geschichte ihren Wünschen entsprechend formen zu können.

n.n.‘s politische neben den ökonomischen Räten (weshalb überhaupt trennen, was praktisch überhaupt nicht zu trennen ist?) sind eine Restaurierung der bisherigen Parteipolitik, die behauptete, dass die Parteidiktatur die [Interessen] der Massen realisiert und dass sie mit der Diktatur der Klasse identisch sei. An diesem Punkte lehnen wir n.n. völlig ab. n.n.’s Warnung, dass wir, wenn wir seine Position ablehnen, damit das Feld den zunächst noch wirkungsfähigen anderen Organisationen überlassen, rührt uns nicht, da wir nicht gewillt sind, mit diesen Organisationen um die Beherrschung der Gefolgschaft der Massen zu konkurrieren. Wir wollen nicht die Massen zur Gefolgschaft beeinflussen, sondern ihre selbständige Bewegung fördern. Wir sagen nicht, „folgt uns und nicht den anderen“ wir sagen folgt niemandem, sondern nur euren eigenen Interessen und Notwendigkeiten. Diese Notwendigkeiten sind auch die unseren, so dass uns der Rahmen der Rätebewegung für unsere eigene Tätigkeit völlig genügt. Bevor die Räte erstehen, sind wir wohl gezwungen, uns separat zusammenzufassen, aber dieser Mangel kann nicht in eine Qualität verwandelt werden. Wir müssen als besondere Organisation verschwinden, sobald die Massen sich in den Räten ihre Organisation schaffen. Unser Platz ist in den Räten, nicht neben ihnen.

Ohne Zweifel müssen die Ausführungen der Holländer über die Arbeitsgruppen und deren Verhältnis zu den Massenbewegungen ergänzt werden. Die vorhandene Formulierung der Holländer hat oft einen peinlichen idealistischen Beigeschmack, aber diesem Mangel kann abgeholfen werden. Auf keinen Fall kann man jedoch der Auffassung n.n.’s in diesen Punkten Konzessionen machen.


Anmerkungen

1. Es handelt sich hier um die in Rätekorrespondenz, Nr. 10-11, S. 23-36 abgedruckte Kritik. (g.i.k.)

2. Diese Arbeit unserer amerikanischen Genossen besteht aus zwei Teilen: dem ersten Teil, der eine Kritik auf: „Das Werden einer neuen Arbeiterbewegung“ ist, und einen zweiten Teil, der sich mit der „Brüsseler Konferenz“ befasst. Wir bringen hier nur den ersten Teil, und werden den zweiten Teil im Zusammenhang mit einer besonderen Arbeit bringen, die sich ausschließlich mit den durch die „Brüsseler Konferenz“ angeschnittenen Fragen beschäftigt. (g.i.k.)


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Compiled by Vico, 3 December 2020


























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